Schreibender Abenteurer

Der Bestseller-Autor Rainer M. Schröder kommt nach Müllheim


Die Trilogie über die „Bruderschaft vom Heiligen Gral“ dürfte zu seinen bekanntesten Werken gehören, doch seine Liste mit historischen Abenteuer-Romanen ist deutlich länger und zeugt von einem beachtlichen schriftstellerischen Erfolg, insbesondere – aber nicht nur – bei jungen Lesern. Rainer Maria Schröder hat bislang rund sechs Millionen Bücher verkauft. Am kommenden Dienstag kommt er nach Müllheim in die Mediathek. "Das Leben eines Schröders fing erst mit einem Doktortitel an. Dann begann man im Leben etwas zu werden" – die Stimme von Rainer M. Schröder verrät keine Verbitterung und auch keine Ironie, als er sich seiner Jugend entsinnt. Es ist bloß ein sachlicher Versuch, den eigenen Familienhintergrund zu erklären. Der 56-Jährige hat keinen Doktortitel, doch auch so ist er "etwas" geworden. Er hat das geschafft, was nur einem Bruchteil aller Autoren gelingt: vom Schreiben zu leben. Er war 26, als sich nach vielen gescheiterten Versuchen mit dem Jugendbuch "In die Falle gelaufen" der Durchbruch anbahnte. Damals stand Schröder kurz vor dem Ende seines Jurastudiums, das er kurzerhand an den Nagel hing. Keine einfache Entscheidung: Schließlich studierte er den Eltern zuliebe "etwas Seriöses" – neben Theater- und Filmwissenschaft sowie Germanistik. Der mutige Entschluss, sich dem Willen der Familie zu widersetzen, kam tausenden Fans zugute: Über 50 Romane entstanden seit 1977 – eine, quantitativ wie qualitativ, beeindruckende Leistung. Und wohl auch Ergebnis seines "Arbeitsethos" und des familiär bedingten Ehrgeizes von Schröder. Er schreibt wie ein Marathonläufer: zehn bis elf Stunden am Tag, am liebsten in der Abgeschiedenheit eines Klosters, ohne Fernsehen, ohne Freunde, ohne Ablenkung. Wie in einem geistigen Strom. Dem Geld hinterher wollte er nie schreiben – wichtiger waren ihm Entdeckungen und Abenteuer. Sein erstes erlebte der gebürtige Rostocker mit zehn Jahren – auf der Flucht aus der DDR. Die nächsten entsprangen schon seinen Herzenswünschen, denen er zusammen mit seiner Frau folgte. Eines Tages beschloss das Paar spontan, alles zu verkaufen und um die Welt zu reisen. Mit einer Schreibmaschine und zwei Koffern. Die große Expedition geriet anfangs zwar ein wenig ins Stocken: Eine alte Farm, geplant als ein Zwischenstopp, wurde für vier Jahre Schröders Zuhause und Dauerbaustelle, und er selbst zum Hobbyfarmer. Das Fernweh gewann aber schließlich die Oberhand, und die spätere Reiseroute zog sich durch alle Kontinente: Schatztauchen in der Karibik, Goldsuchen in der Sierra Nevada. Durchqueren einer afrikanischen Wüste. Kanada. Mexiko. Brasilien. Australien. Eine nie versiegende Quelle für viele seiner Bücher, aber auch der Schauplatz harter Arbeit. Als ein pedantischer Rechercheur und gewissenhafter Chronist setzt Schröder bei seinen historischen Romanen auf monatelange, akribische Untersuchungen. "Ein paar Reizworte: Kettenhemd, Ritter oder Lanze reichen nicht aus. Der Leser muss genau mitbekommen, wie der Alltag der Menschen war, was zum Beispiel ein Schaf kostete, wie lange eine Kutsche von einem Ort zum anderen brauchte", erklärt Schröder.


Zwei Zielgruppen


Beim Schreiben achtet er aber darauf, nicht ein Sachbuch zu fabrizieren. Die Fakten müssen so platziert sein, dass der Leser mitbekommt, wie das Leben damals war, ohne ihn zu ermüden oder zu belehren. Das gelingt ihm hervorragend: Schröder bietet seinem Publikum fesselnde Geschichten mit viel Hintergrund und perfekt aufgebauter Spannung, plastisch und überzeugend erzählt. Der Leser wird in die Geschichte hineingesaugt, von der Handlung mitgerissen. Er wird vom unbeteiligten Zuschauer zum involvierten Zeugen. Das ungewöhnliche an Schröder: Er ist in der Lage, für zwei unterschiedliche Zielgruppen gleichermaßen packend zu formulieren: Jahrelang führte er, der inzwischen in Florida lebt, ein Doppelleben: Als Rainer M. Schröder kannten ihn die Jugendlichen; als Ashley Carrington meldete er sich mit Gesellschaftsromanen für Erwachsene zu Wort. Die vermeintliche Schizophrenie ging auf Schröders Sorge zurück, nach seinem Erfolg als Jugendbuchautor in den Buchhandlungen in der falschen Ecke zu landen. Er wollte auch seinen guten Ruf nicht riskieren, falls er mit einem 600-seitigen Buch scheitern sollte. In den folgenden Jahren wurden die historischen Romane für Jugendlichen umfangreicher. Die Romanfiguren von Carrington und Schröder haben sich immer mehr angeglichen. Heute versteht er sich als ein Familienautor, ein – wie er mit Schmunzeln zugibt – "Cross-over"-Schriftsteller, der für Jung und Alt schreibt.


Kinga Rybinska

Interview mit Rainer M. Schröder

Ihr Leben ist spannender als jeder erfundene Abenteuerroman: Sie waren Schatztaucher in der Karibik, Goldschürfer in den Bergen der Sierra Nevada, durchquerten die Sümpfe der Everglades mit dem Kanu und vieles mehr. Was treibt Sie dazu an?


RMS: Die Abenteuerlust steckte schon als Jugendlicher in mir – und dieser Virus steckt auch heute noch in mir, zum Glück auch in meiner Frau. Sie teilt mein Reise- und Abenteuerfieber. Wir lieben unser Zuhause, aber nach einigen Monaten werden wir unruhig und schmieden neue Pläne. Was uns dazu antreibt? Die Lust auf Abenteuer, auf eigene Faust zu reisen und dabei andere Länder und Kulturen kennen zu lernen – und wohl auch unsere Träume von Abenteuern zu realisieren, von denen viele meinen, es gäbe sie nur in Romanen. Aber auch heute noch gibt es viele Schätze, die darauf warten, gefunden und geborgen zu werden (nicht nur spanische Schatzgaleonen in der Karibik), auch heute noch kann man wie Jack London erfolgreich nach Gold schürfen. Auch heute noch kann man spannende Abenteuer auf hoher See, im Dschungel Amazoniens, in der Kalahari Wüste oder im australischen Outback erleben – und dabei seine eigenen physischen wie psychischen Grenzen kennen lernen und herausfinden, aus welchem Holz man geschnitzt ist und wie man mit Gefahren und Strapazen umgeht.


Ihre Abenteuergeschichten sind immer auch historische Romane. Muss man bei der Recherche zu historischen Romanen nicht auch monatelang in staubigen Bibliotheken forschen?


RMS: Abenteuerreisen allein befähigen einen Autor nicht, historische Romane zu schreiben. Das ist nur ein Teil der Voraussetzung (obwohl es ja auch Autoren gibt, die nie aus ihrer Studier- und Schreibstube herauskommen und dennoch über fremde Länder schreiben). Zu einem guten historischen Roman gehört auch die sorgfältige Recherche in Bibliotheken und Archiven. Man muss sich alle Landkarten und Stadtpläne beschaffen, sowie Hunderte von Informationen über die Zeit, über die man schreiben möchte. Also Infos über die Kleidung, das Essen, die Preise, die Politik, die Landschaften, das Klima, das gesellschaftliche Leben, die Fortbewegungsmittel (wie lange brauchte man etwa 1805 in Australien von Sydney zum Hawkesbury River mit dem Ochsenfuhrwerk? Oder wann wurde was ausgesät und geerntet? Was kostete ein Fass Rum oder ein Schaf auf dem Farmermarkt? Und so weiter....) und vieles andere mehr. Um all das herauszufinden, lese ich im Schnitt für einen neuen Roman 10 000 -14 000 Seiten, Sachbücher, Biographien, alte Tagebücher etc.. Man lernt dabei das Schnelllesen und rasche Erkennen, was man gebrauchen kann und was nicht! Und dann lege ich Listen an zu jedem Sachgebiet, die insgesamt bis zu 100 Seiten umfassen.


Was war das spannendste Abenteuer, das Sie erlebt haben?


RMS: Das lässt sich schwer beantworten, wenn man seit über 20 Jahren die Welt bereist. Die Monate in Amazonien waren nicht weniger faszinierend wie der Aufenthalt bei den Buschmännern in der Kalahari Wüste oder das Leben bei dem Goldminer in den Bergen der Sierra Nevada oder an Bord der Schatztaucher der "Virganola", mit denen wir zwischen Kuba und Florida unter großen Gefahren und schwer bewaffnet (wegen moderner Piraten!) nach dem 700-Millionen-Dollar-Schatz der spanischen Galeone ATOCHA gesucht haben – und zwar erfolgreich! Von dem Schatz behalten durften wir zwar nichts, aber das kümmerte mich auch nicht.) Gottes Schöpfung zeichnet sich in allen Bereichen durch ihre wunderbare Vielfalt aus. Deshalb will ich nicht zu erwähnen vergessen, dass wir eines unserer ganz großen, unvergesslichen Abenteuer hier in Europa erlebt haben – nämlich vor zwei Jahren der Pilgermarsch allein und mit dem Rucksack auf dem Pilgerweg von Südfrankreich über die Pyrenäen nach Santiago de Compostela in Nordspanien. Wir mussten in Burgos zwar nach 250 Kilometern abbrechen, weil die Zehen meiner Frau vereitert waren und der Arzt einen Weitermarsch verboten hat (wir hatten die Berge der Pyrenäen bei Sturm, Nebel und Regen überquert, und beim Abstieg auf dem schlammigen Boden ist meine Frau mit den Zehen stundenlang vorn angestoßen. Zwei Wochen später lösten sich dann die Nägel, und nichts ging mehr). Aber im Mai 2005 wollen wir den zweiten Teil von Burgos bis nach Santiago in Angriff nehmen.


In den 90ern haben Sie mit einem Wohnwagen den australischen Kontinent umrundet und durchquert. Sie schreiben, das war die physisch wie psychisch anstrengendste Reise Ihres Lebens – warum?


RMS: 1995 kauften wir uns in Sydney einen ganz kleines gebrauchtes Wohnmobil von der Größe eines VW-Kastenwagens mit Vorzelt (die Rückbank war das Bett!), das wir nach sechs Monaten in Sydney ohne großen Verlust wieder verkauften. Wir umrundeten den australischen Kontinent einmal auf der Küstenroute und durchquerten ihn einmal von Darwin im Norden mitten durch das Outback, das rote Herz Australiens, bis hinunter nach Port Augusta. Das waren insgesamt 25 000 km. Die Abenteuer, die gefahrenen Kilometer, die Menge an immer neuen Eindrücken und dazu noch die Recherchen in den Archiven von allen großen Städten und wichtigen Orten (wir kopierten in der Zeit etwa 9 000 Seiten und kauften etwa 220 Sachbücher zu allen möglichen Sachthemen zusammen. Das Material füllte 17 Postkisten, die wir im Laufe der Reise an unsere Adresse in Florida schickten) – diese Kombination von ständig Unterwegssein, Recherchieren, Abenteuern etc. über einen Zeitraum von sechs Monaten erwies sich als enorme physische wie psychische Belastung – zumal wir vorher noch kurz in Deutschland und dann zwei Monate auf Recherche in China waren (Canton, Hongkong). Solche Strapazen kann man nur mit einem (Ehe-)Partner machen, der nicht nur (auch) absolut zuverlässiger Freund und Gefährte ist, sondern diese körperlichen und psychischen Belastungen (er)tragen kann. Andernfalls schlägt man sich auf so engem Raum schon nach wenigen Wochen die Köpfe ein. Dass ich mit meiner Frau seit 25 Jahren die größten Strapazen und auch Lebensgefahren teilen und mich voll auf sie verlassen kann, gehört mit zu den besonderen Geschenken, mit denen ich gesegnet bin.


Hat Sie diese Reise auch zu den Abby-Lynn-Abenteuern inspiriert?


RMS: Sicher, bei der Rundreise habe ich oft Abby Lynn und die anderen Figuren vor meinem inneren Auge gesehen und was ich sie alles noch erleben lassen könnte. Aber auch der Roman "Unter dem Jacaranda-Baum" (der zu den 100. lesenswerten der WELTliteratur des 20. Jahrhundert gewählt wurde) ist mir dort eingefallen. Wie – das habe ich in einer Sonderausgabe vom WELTBILD Verlag genau beschrieben.


Welches Abenteuer möchten Sie noch erleben?


RMS: Es gibt noch Abenteuer ohne Ende, die darauf warten, angegangen zu werden. Auf dem Plan stehen Reisen quer durch Indien, einmal mit dem Schlittenhundegespann quer durch Alaska oder Grönland, Kamelkarawanentrip durch die Sahara, noch einmal quer über den Atlantik, diesmal mit einem 4-Master-Segelschiff/Klipper – und natürlich der Pilgerweg nach Santiago de Compostela... sowie jedes Jahr ein paar Monate in einer anderen fremden Stadt leben und arbeiten: Istanbul, Nikosia, Rom, Buenos Aires, noch einmal Kapstadt und Sydney und so weiter. Dass sich nicht alle Träume erfüllen können und werden, versteht sich von selbst. Manche Träume müssen einfach Träume bleiben. Aber Träume haben, das muss man. Wer nicht mehr träumt, ist eigentlich schon tot, ist sich dessen bloß noch nicht bewusst. Das Leben ist zu kurz und zu kostbar und endet nun mal leider zumeist tödlich, um sich zum Sklaven materieller Sicherheiten zu machen. Meine Devise war und bleibt: Ich will mein Leben nicht verträumen, sondern meine Träume leben! Deshalb: Carpe diem!


Die Fragen stellte Nicole Brunner

lorenzspringer medien

Kurzinterview zum Roman
„Der geheime Auftrag des Jona von Judäa“

Was veranlasst Sie, den Roman zu schreiben?


RMS: Schon seit Jahren reizte mich als fröhlich bekennender Christ und Autor historischer Romane die große Herausforderung, einen solchen Roman zu schreiben, der die einzigartige und weltverändernde Geschichte des Neuen Testaments ohne konfessionelle Scheuklappen und ohne missionarischen Eifer erzählt – und zwar eingebettet in eine mitreißend spannende Abenteuerhandlung. Den letzten Anstoß dazu gab mir Mel Gibsons Film, den ich für wichtig und mutig halte, weil er Jesus zu einem weltweiten Tagesthema in den Medien gemacht hat. Aber letztlich ist mir der Film doch leider zu sehr reduziert auf das blutige Ende.


Es heißt, Sie hätten den Roman zum größten Teil in einem Kloster geschrieben. Stimmt das?


RMS: Das ist richtig. Der Roman entstand im Zisterzienserkloster Himmerod in der Eifel in einem wahren Arbeitsrausch. Mehrere Monate schrieb ich dort bis zu 14 Stunden täglich, und ich unterbrach die Arbeit nur für die Gebetszeiten und die Mahlzeiten im Refektorium. In dieses Kloster ziehe ich mich mindestens einmal im Jahr für mehrere Wochen zurück, um meinen Glauben und mein Gebetsleben in der Gemeinschaft der Mönche zu vertiefen. Im Sommer 2004 war zudem der theologische Beistand des Priors Pater Martin Stork gefragt, mit dem ich seit Jahren befreundet bin und der während meiner strengen Schreibklausur die bibelrelevanten Szenen meines Romans kritisch gegengelesen und mir mit Rat und Tat zur Seite gestand hat.


Sie haben schon in mehreren Ihrer Romane den christlichen Glauben auffallend in den Mittelpunkt gestellt, aber auch das Judentum und den Islam. Warum ist Ihnen dieser Roman so besonders wichtig?


RMS: Ich versuche mein privates Leben auf die vier Säulen Glaube, Hoffnung, Liebe und Toleranz zu stellen und halte es für meine Aufgabe, dieses christliche Credo auch in meinen Romanen zum Tragen zu bringen. Und sozusagen einen ‘Jesus-Roman’ zu schreiben, erschien mir deshalb so wichtig, weil heutzutage der Mangel nicht nur an konfessionell christlichem, sondern an biblischem Wissen überhaupt erschreckend ist. Die atheistische Indoktrinierung der einstigen DDR-Diktatur hat dem in der deutschen Bevölkerung noch einen zusätzlichen negativen Schub gegeben. Jeder gibt zu christlichen Themen, Ereignissen und insbesondere zu päpstlichen Äußerungen seinen Senf ab, weiß aber in Wirklichkeit meist gar nicht, wovon er redet. Nicht von ungefähr habe ich das in meinem 20-seitigen Nachwort thematisiert. Im Modetrend der Zeit wähnt sich der Mensch selbst als genug, die elterliche Vorbildfunktion versagt seit Jahrzehnten und viele Leute können deshalb nicht mehr viel mit der Bibel anfangen. Nicht weil die frohe Botschaft des Evangeliums heute Jugendlichen wie Erwachsenen nichts mehr zu sagen hätte, sondern weil ihnen schlichtweg das faktische und kulturelle Grundwissen über die Zeit und die den Evangelien zugrunde liegenden Zusammenhänge fehlen – und weil ihnen kaum jemand diese Grundinformation sowie den unvergleichlichen Reichtum des Christentum richtig erklärt. Zahlreiche Leserbriefe, die ich von Jugendlichen wie Erwachsenen erhalte, beweisen, dass es sehr wohl möglich ist, ihnen Augen, Herz und Seele für Gott und den Glauben zu öffnen. Auf meine Weise zu dem nötigen Sachwissen über Jesus und seine Zeit beizutragen, ohne das der Schritt zum Verstehen wie zum Glauben nicht möglich ist, war einer der Gründe für mich, dieses Buch zu schreiben. Zudem habe ich mir mit diesem Roman persönlich einen seit langem gehegten Traum erfüllt.


Das Interview führte Frau Dr. Renate Grubert

Februar 2005

Warum ich schreibe

Wer mein an Abenteuern nicht eben armes Leben kennt, das mich unter anderem während der Winterstürme über den Nordatlantik, durch die Sumpf- und Mangrovenwildnis der Everglades, die afrikanischen Wüsten und Savannen, den Dschungel von Amazonien, das australische Outback sowie zu professionellen Schatztauchern in die Karibik und zu Goldsuchern in die Berge der Sierra Nevada geführt und mich für vier Jahre zu einem Hobby-Farmer in Virginia verführt hat, wer dies kennt, wird verstehen, warum ich mich als Schriftsteller ‘Kollegen’ wie Jack London, Friedrich Gerstäcker oder Robert Louis Stevenson näher fühle als einem Autor wie Karl May, der – bei aller Bewunderung für sein Werk – seine Abenteuer nur an seinem Schreibtisch schreibend erlebt hat.


Mein Ziel als Schriftsteller ist es, Bücher zu schreiben, die sorgfältig recherchiert und mitreißend in der Spannung geschrieben sind – und die den Leser zudem in lebensbejahendem und befreiendem Sinn von Glaube, Hoffnung, Liebe und Toleranz aufrütteln, die sich für die Besinnung auf diese unersetzlichen Werte einsetzen – und vielleicht zu ihnen hinführen.


Warum ich fast ausschließlich historische Romane schreibe? Weil ich die Erinnerung bewahren will, denn alles, was wir sind, denken, träumen und wünschen, tun wir dank unserer Erinnerung. Und wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen – geschweige denn die Zukunft erfolgreich meistern. Das Wissen um die Vergangenheit gefähigt uns, eine sinnvolle Brücke vom Gestern zum Heute zu schlagen und den richtigen Weg zum Morgen zu wählen.


Das blinde Fenster zum Gestern aufzustoßen, sich in der Vergangenheit aufmerksam umzusehen und darüber zu schreiben, damit dem Leser eine vielleicht ungeahnte und vergessene Welt eröffnet wird und damit jene Zusammenhänge und Ereignisse, die, obschon sie Jahrhunderte zurückliegen und scheinbar ein abgeschlossenes Kapitel der Vergangenheit bilden, dennoch in unsere Gegenwart hineinreichen, sie beeinflussen und sogar auf die Zukunft einwirken, besonders wenn wir uns ihnen gegenüber unwissend oder gar ignorant verhalten, das macht für mich die Faszination historischer Romane aus – als Schriftsteller, aber auch als Leser.


Rainer M. Schröder

Zum Abenteuer des Schreibens

Wie der Roman Das Geheimnis der weißen Mönche entstand und was mein besonders Anliegen beim Schreiben ist (Auszug aus einer Rede vom 26. April 1996)


Als ich vor einigen Jahren – ich glaube, es war 1992 – sozusagen meine ‘Autorenseele’ an Arena verkaufte und einen Vertrag für erst einmal 3 Romane unterschrieb, da sollte mein erstes ARENA-Werk ein Roman über ein Kloster im Mittelalter werden. Doch um ehrlich zu sein: Ich hatte Angst vor diesem Thema, fühlte mich ihm geistig und geistlich nicht gewachsen und hatte wohl auch ein wenig Angst, so etwas wie einen Umberto Eco für Arme zu schreiben. Gut war nur, dass ich Ecos Roman noch nicht gelesen hatte – übrigens bis heute noch nicht.


Aus diesen Gründen, aber auch aus Zeitgründen, weil ein Hardcover für Droemer Knaur anstand, schlug ich dann vor, erst einmal einen kurzen, etwa 170 Seiten langen Roman über das Leben an Bord eines Walfänger Mitte des 19. Jahrhunderts zu schreiben. Was aus diesem kurzen Walfänger-Roman geworden ist, wissen Sie ja: Der nun doch ‘etwas längere’, weltumfassende Roman Die wundersame Weltreise des Jonathan Blum. Um ganz ehrlich zu sein, der Blum-Roman ist buchstäblich erst kurz vor dem Schreiben und während der Arbeit zu dem geworden, was er ist. Die Figur hat buchstäblich von mir Besitz ergriffen und mich um die Welt geführt. Das zum Abenteuer des Planens und Schreibens!


Der Jonathan Blum-Roman erfüllt mich mit Stolz und Freude. Er gehört unter meinen Büchern zu meinen ganz besonderen Lieblingskindern, und manchmal kommt es mir selbst wie ein kleines Wunder vor, dass mir all dies wirklich Wort für Wort in 10stündigen Arbeitstagen Monat für Monat aus der Feder geflossen, bzw. getröpfelt ist. Dieses geistige Lieblingskind hat nun einen kräftigen Zwillingsbruder bekommen: Die Geschichte des Jakob Tillmann, die im Roman Das Geheimnis der weißen Mönche erzählt wird. Zu der Entstehungsgeschichte und dem Inhalt möchte ich nun kommen, wobei es mir schwerfallen wird, die innere wie äußere Handlung eines fast 500-seitigen Buches auch nur annähernd zu umreißen. Also erst zum leichteren Part – der Entstehungsgeschichte.


Ein Jahr, nachdem ich bei ARENA angeheuert hatte, hörte ich während einer langen nächtlichen Autofahrt im Radio einen Bericht über das Zisterzienserkloster Himmerod in der Eifel, das Gäste zur geistig-geistlichen Einkehr und Besinnung aufnimmt und jedem dabei freistellt, ob und wie sehr er an dem Gebetsleben der Mönche teilnehmen möchte. Gäste aus allen sozialen Schichten und allen Konfessionen, Atheisten eingeschlossen, waren und sind dort willkommen.


Monate später war ich dann zum ersten Mal in Himmerod, für zehn Tage. Ich wohnte im Konventsgebäude und nahm an dem Leben der Mönche so nahe und intensiv wie möglich teil, was mit der Vigil morgens um kurz nach vier begann, wo ich zwischen den Mönchen im Chorgestühl stehen und an den Gesängen teilnehmen durfte, schloss die Mahlzeiten unter Schweigegebot im Refektorium ein, und endete mit der Komplet am Abend.


Ich will es kurz machen: Dieser erste Besuch, dem seitdem jedes Jahr mindestens ein weiterer folgte, war ein faszinierendes und bewegendes Erlebnis. Eine Zeit der Stille, des geistigen Atemholens in einer von Hektik und Konsumdrang beherrschten Gesellschaft, die uns alle mehr oder minder in ihren Klauen hat, eine Zeit der Rückbesinnung auf das, was im Leben wirklich wichtig ist, und insbesondere auch eine Zeit, um eine neue, erwachsene Einstellung zum Glauben sowie zur Bedeutung und zur Praxis des Gebetes zu finden.


In den Jahren, die folgten, wurden aus zaghaften, flüchtigen Begegnungen mit den Mönchen Freundschaften – ganz besonders zu Pater Martin Stork, dem Prior von Himmerod. Und mit den Jahren wich auch das Gefühl, dem Thema ‘Klosterroman’ nicht gewachsen zu sein, nicht reif genug dafür zu sein und vor allem nicht zu wissen, welche Handlung ich dort ansiedeln und welche ‘Message’ – bitte verzeihen Sie mir die Verwendung dieses neudeutschen und allzu arg strapazierten Wortes – welch tiefergehendes Anliegen dieses Buch haben sollte. All das ergab sich bei meinem Aufenthalt im letzten Jahr plötzlich wie von selbst.


Mein Grundanliegen ist schnell grob umrissen. Mir geht es darum, gut recherchierte, historische, spannungsgeladene Romane für die ganze Familie zu schreiben, Romane die möglichst ‘subversiv’ – eben über die Spannung und gute historische Recherche – zum Nachdenken anregen über scheinbar längst Bekanntes und zugleich längst als scheinbar altmodisch oder entbehrlich Abgehaktes.


Glaube, Hoffnung, Liebe und daraus resultierend Toleranz – das sind die vier Säulen meines Lebens und meines Glaubens, die auch meine Romane im Innern tragen sollen – und von denen ich mir wünsche, dass sie meine Leser bewusst oder unbewusst in ihrem Innersten berühren, zum Nach- und neu Überdenken bringen – und dass sie vielleicht dazu verhelfen, dass der eine oder andere Leser für vieles – was ich hier einmal allgemein mit Sinn unseres Daseins und ‘erwachsenes Christentum’ umschreiben möchte – einen neuen Blick, ein neues Interesse und Verständnis findet.


Die äußere Handlung des Romanes spielt in der Mitte des 17. Jahrhundert, einige Jahre nach dem Ende des 30jährigen Krieges in der Eifel, im Dreieck Manderscheid, Trier und Koblenz. Zu einer Zeit, als die Inquisition und Hexenverfolgungen nach Jahrhunderten des Wütens sich ihrem Ende näherten. Wohl auf gut 450 Seiten wird mein Held, der 17jährige Jakob Tillmann, von einem Geheimnis und Abenteuer ins andere gestürzt – zusammen mit seinem – erst sehr geheimnisvollen – Mentor, dem sehr freidenkenden und doch auch sehr gläubigen Zisterziensermönch Bruder Basilius, einst Streiter mit dem Schwert aus adligem Haus, und dessen Faktotum, dem psalmodierenden schwedischen Protestanten Henrik Wassmo. Intrigen, Verschwörungen und das Geheimnis des verstorbenen Abtes Anselm halten – so hoffe ich – jugendliche wie erwachsene Leser in Atem...


Zum Schluss möchte ich noch etwas zu den im Roman hier und da eingestreuten geistig-geistlichen Gesprächen über Glauben, Konfessionsstreit, Gottesfrage, das Böse in der Welt, über Not und Segen des Gebetes und andere Themen zwischen Bruder Basilius und Jakob Tillmann sagen. Themen, von denen ich meine, das sie heute moderner denn je sind.


Vernunft und Glaube widersprechen sich meiner Meinung ganz und gar nicht, sondern sie ergänzen sich vielmehr. Wie auch scharfe Kritik an den vielfach verkrusteten Strukturen der Organisation Kirche nicht im Widerspruch zum Glauben und zur Treue zur Kirche steht, sondern sehr wohl im Einklang mit dem Bewusstsein steht: ‘Wir, die Gemeinschaft der normalen Gläubigen, sind die Kirche – mehr noch als die Ämterverwalter!’ Aber zum Glaube gehören auch die Treue in schwerer Zeit, wenn einem der Gegenwind des zynischen und egomanischen Zeitgeistes scharf ins Gesicht bläst, sowie Wissen, Reflektion und geistiges Wachstum – so wie wir ja auch in allen anderen Dingen des Lebens zu wachsen und zu lernen gewohnt sind.


Ich finde den Katalogtext hervorragend gelungen. In dem Kurztext findet sich jedoch eine Zeile, die falsch ausgelegt werden kann: Jakob zieht nicht aus, den Kirchenmännern das Fürchten zu lehren. Das ist nicht sein Anliegen. Oh ja, indirekt lehrt er sie zusammen mit Bruder Basilius und Henrik Wassmo natürlich schon das Fürchten. Den Machtmissbrauch der klerikalen Herrschaften, die ihr Kreuz nicht auf dem Rücken tragen, sondern golden und juwelengeschmückt auf der Brust, prangere ich sehr wohl in meinem Roman an. Mit den Klerikern, die schändlichsten Missbrauch mit der Frohbotschaft des Evangeliums getrieben und das Kreuz, Jesus Christus, das Vaterunser, kurzum Kirche und Glauben aus Machthunger und weltlicher Gier mit Füßen getreten haben, mit diesen Klerikern gehe ich hart ins Gericht.


Dennoch ist mein Roman kein Anti-Kirchen-Buch, sondern das genaue Gegenteil. In diesen mir sehr wichtigen Szenen finden Sie ein leidenschaftliches Plädoyer für Glaube, Hoffnung, Liebe und daraus folgend Toleranz, ein Plädoyer für die Hinwendung vom ständigen ICH! ICH! ICH! zum Du und Wir, für die Kraft des Gebetes und die Gemeinschaft der Gläubigen in der Kirche, eben für die wahre Botschaft des Evangeliums, das eigentlich von der Masse erst noch richtig entdeckt, verstanden und angenommen werden muss. Denn so vieles, was Jugendliche wie Erwachsene über christlichen Glauben zu wissen meinen und zur Basis ihrer pauschalen Vor-Urteile nehmen, ist in Wirklichkeit ein Zerrbild – und noch häufiger nichts weiter als ein hohler Begriff, ein substanzloses Schlagwort, das den Film-Fassaden der Wildweststädte in Hollywood ähnelt, hinter denen sich auch keine Substanz befindet. Im Grunde genommen ist Europa nämlich längst wieder heidnisch geworden, überzogen von einer Schmuckglasur christlicher Festtagsrituale.


Das ist das Ziel, der Traum die Erfüllung für mich als Schriftsteller: Bücher zu schreiben, die ohne den erhobenen pädagogischen Zeigefinger und ohne die Penetranz des missionarischen Eiferers und ‘Scheuklappen-Katholiken’ historisch gut recherchiert und mitreißend in der Spannung sind – und die zudem im lebensbejahenden und befreienden Sinn von Glaube, Hoffnung, Liebe und Toleranz aufrütteln – für diese Werte werben – und vielleicht zu ihnen hinführen.“


Das Zisterzienser-Kloster Himmerod, das im Dreieck von Wittlich, Bitburg und Manderscheid nahe der Ortschaft Großlittgen liegt, steht jedem interessierten Jugendlichen und Erwachsenen für Tage – oder Wochen – der Einkehr und Besinnung offen. Nähere Auskünfte: Abtei Himmerod, 54534 Großlittgen, Telefon 06575/95130, Fax 06575/951339. E-Mail: brumarkus@aol.com. Webseite: www.kloster-himmerod.de.


Rainer M. Schröder

Laudatio auf Rainer M. Schröder

Meine sehr geehrten Damen und Herren,


Er ist in Winterstürmen über den Nordatlantik gesegelt, er ist durch die Sumpf- und Mangrovenwildnis der Everglades in Südflorida gepaddelt, er hat die australische Wildnis im Wohnmobil durchquert und umrundet, er ist durch afrikanische Wüsten gestapft und durch den Dschungel, er hat inmitten von Alligatoren nach Schätzen getaucht und hat nach Gold gesucht in den Bergen der Sierra Nevada.


Rainer Schröder – und mit ihm seine Frau – ist ein Abenteurer aus Leidenschaft, ein Reisender aus Passion. Nicht nur in seinem Leben, sondern auch in seinem literarischen Werk.


Ist es da Zufall oder eher Konsequenz, dass so jemand früher oder später auch in die abgeschiedenen Eifeltäler und Eifelwälder vorstößt, sich hinter Klostermauern im Salmtal umsieht, hinabsteigt in die Tiefen der Zeit und einen spannenden historischen Abenteuerroman voll dunkler Geheimnisse und Rätsel in der Eifel ansiedelt – "Das Geheimnis der weißen Mönche" nämlich?


Diese Frage aus Eifeler Sicht ist nicht nur selbstironisch gemeint. Ihre Beantwortung berührt, wie ich meine, grundlegend das Selbstverständnis des Menschen und Schriftstellers Rainer Maria Schröder. Entdeckungsreisen und Abenteuerreisen um die ganze Welt – das sind für Schröder nie nur spannende Reisen durch die äußere Welt gewesen, sondern immer auch – mit ihren vielfältigen Herausforderungen und Prüfungen – mutige Reisen in das Innere seines eigenen Wesens. Selbsterkundungen, Selbstsuchen immer verknüpft mit der Suche nach Untergründen und Hintergründen hinter gleißenden Fassaden, mit immer neuer Suche nach dem Sinn unseres Lebens, nach den letzten Geheimnissen und Rätseln unserer Existenz.

Im wirbelnden Wechsel gegensätzlicher Erfahrung und Erlebnisse, in der offenen, vorurteilsfreien Annäherung an das Andere, Fremde in Raum und Zeit hat Rainer Maria Schröder immer wieder die Gegensätzlichkeit und Vielfalt der Schöpfung erfahren, hat er verstehen und tolerieren gelernt.


Und in der Begegnung mit dem Anderen, Abweichenden hat er immer auch mehr über sich selbst erfahren, hat sich weiterentwickelt. Nie ist er so zurückgekehrt, wie er einmal aufgebrochen ist. So auch die Gestalten seines umfangreichen literarischen Werks!


Der 16jährige Jonathan Blum etwa, jüdisch-polnischer Herkunft, der auf seinen Irrfahrten um den ganzen Globus um 1860 nicht nur fremde Länder, Kulturen und Menschen kennenlernt, sondern auch sich selber. Er findet, wonach er sich immer gesehnt hat: seine innere und äußere Freiheit (in dem Roman "Die wundersame Weltreise des Jonathan Blum").


So Felix Faber, der 1838 als Fünfzehnjähriger nach China schippert und eine fremde Welt voller Gefahren, Konflikte und Verlockungen erlebt und seinen eigenen Weg zu suchen beginnt (in dem Roman: "Die wahrhaftigen Abenteuer des Felix Faber – übers Meer und durch die Wildnis").


Oder eben Jakob Tillmann, in dem nunmehr mit dem Eifel-Literatur-Preis 1998 ausgezeichneten Roman "Das Geheimnis der weißen Mönche", angesiedelt in der Zeit der Hexenverbrennungen und der Inquisition im 17. Jahrhundert, wenige Jahre nach dem Ende des 30jährigen Kriegs. Auch Jakob Tillmann ist am Ende abenteuerlicher Wanderungen, Fluchten und Verschleppungen nach dem Eifelkloster Himmerod, nach Trier und Koblenz, ist am Ende eines langen Weges und vielfältiger Suchen nicht mehr der, der er anfangs war – als er unerfahren, ahnungslos und uneinsichtig in ein mysteriöse Verkettung rätselhafter Vorfälle und Vorgänge hineinschlitterte. So viel erlebt und erleidet, erfährt und lernt Jakob in Land und Stadt, in Geschehnissen und Gesprächen, dass ihm die wenigen Wochen mit Bruder Basilius und dem Schweden Hendrik im Rückblick wie ein ganzes, reiches Leben erscheinen.


"Das Geheimnis der weißen Mönche" ist ein Schröder, wie er inzwischen zum Markenzeichen auf dem Büchermarkt geworden ist: ein historischer Abenteuer-Roman, gründlich recherchiert vor Ort, spannend und anschaulich erzählt, ein eindringliches Plädoyer für Menschlichkeit und Toleranz gerade in Zeiten barbarischer Inhumanität und Toleranz. Ein religiöser Roman immer auch mit spiritueller Dimension.


Da erscheint, über vordergründige Geheimnisse und Rätsel hinaus, die ganze Welt als "ein einziges Labyrinth aus ungezählten Geheimnissen und Abgründen" – und als das gewaltigste und wunderbarste Geheimnis das, was wir ‘Gott’ nennen.


Da spiegelt sich im dramatisch-blutigen Gegeneinander der Kräfte jener Zeit die Bipolarität der Schöpfungsordnung überhaupt – als spannungsvolle Einheit der Gegensätze wie Licht und Gefühl. Noch die Tageszeiten und Jahreszeiten, die stürmischen Winternächte bei Jakobs erster Annäherung an Himmerod und seine tiefere, symbolische Bedeutung: als eine Zeit der geistigen Verhärtungen und Kämpfe, der Irrungen und Wirrungen und dunklen Machenschaften, den lichten Frühlingstagen und der erlösenden Osterzeit am Ende des Romans entgegen.


Was Schröders Roman für jede Zeit und für jeden Menschen postuliert: "seinen ganz eigenen Weg (zu) finden, der ihn zum Innersten seines Wesens führt", seinen ganz eigenen Lebenssinn und ganz eigenen Stellenwert in Gottes Schöpfungplan zu finden, das wird am verdichteten Lebensweg Jakob Tillmanns exemplarisch vorgeführt. Der äußere Wirbel der Ereignisse ist dabei nur der Katalysator für diese inneren Suchbewegungen und Prozesse.


Ein historischer Roman ist "Das Geheimnis der weißen Mönche" – und doch, wie immer bei Schröder, voller aktualisierender Brückenschläge vom Gestern zum Heute – mit Wegweisung ins Morgen. Von grundlegender Aktualität noch für unser Jahrhundert, noch für unsere Gegenwart. Wenn etwa ideologischer Fanatismus beklagt wird; wenn die "Brutalität der Gewaltmenschen" und die Passivität und "Gleichgültigkeit der Zuschauer" noch bei kriegerischen Massentötungen oder Judenpogromen angeprangert werden; wenn die aktive Parteinahme des Christenmenschen für die Schwachen, die Wehrlosen, die Opfer gefordert wird.


dass dieser Roman "Das Geheimnis der weißen Mönche" so in vielfältiger Hinsicht Schröders literarisches Credo enthält, wie er es in einem ersten Statement zur heutigen Preisverleihung eingestand, ja dass Himmerod – über den literarischen Schauplatz hinaus – inzwischen zu seiner spirituellen Heimat geworden ist, zum Rückzugsort auf Zeit in selbstgewählter Einsamkeit, zur Selbstsuche, zur Selbstfindung jenseits hektischen Alltagsgetriebes -, das ehrt uns, die wir den Preis verleihen und der Beschäftigung mit der Eifel im Spiegel der Literatur immer neue Wege bahnen wollen. Das ehrt aber nicht zuletzt diese Landschaft und ihre Menschen, denen Sie ein mitreißendes literarisches Denkmal errichtet haben...?


Gehalten im Fürstensaal von Prüm von Dr. Josef Zierden anlässlich der Verleihung des 3. Internationalen Eifel-Literaturpreises an den Autor für seinen Roman "Das Geheimnis der weißen Mönche"


Rainer M. Schröder

Glaube und Moral
im Gegenwind des Zeitgeistes

Verehrtes Publikum,


... das Thema, das ich in meiner Dankesrede zur letztjährigen Preisverleihung angesprochen habe und heute in veränderter Form wieder aufnehme, habe ich für mich unter die Überschrift "Glaube und Moral im Gegenwind des Zeitgeistes" gestellt.


Meine verehrten Damen und Herren, – jede, absolut jede Äußerung zu diesem Thema, egal aus welchem berufenen oder unberufenem Munde, ist rein subjekt. Wer behauptet, im Besitz der Wahrheit zu sein, ist entweder ein ausgemachter Dummkopf oder ein Fanatiker. Da meine Ansichten also so subjektiv und persönlich sind wie jede andere Weltanschauung, möchte ich sie – soweit möglich – auch nicht von meiner Person trennen.


Letztes Jahr erzählte ich, dass ich das Kloster Himmerod einmal im Jahr zur geistig-geistlichen Einkehr und Besinnung aufsuche und mittlerweile als meine spirituelle Heimat betrachte. Ich liebe diese Zeit der Stille, des geistigen Atemholens in einer von Hektik und Konsumdrang beherrschten Gesellschaft, die uns alle mehr oder minder in ihren Klauen hat. Für mich ist das immer wieder aufs Neue eine Zeit der Rückbesinnung auf das, was im Leben wirklich wichtig ist, und insbesondere auch eine Zeit, um im Glauben zu wachsen und mein Gebetsleben zu vertiefen.


Ich bezeichne mich als einen ebenso freimütig wie fröhlich bekennenden Christen katholischer Konfession, dem sein Glaube kostbar ist. Glaube, Hoffnung, Liebe und daraus resultierend Toleranz – das sind die vier Säulen, auf die ich mein Leben zu gründen mich bemühe und die auch meine Romane im Inneren tragen sollen – und von denen ich mir wünsche, dass sie meine Leser bewusst oder unbewusst in ihrem Innersten berühren, zum Nach- und neu Überdenken bringen – und dass sie vielleicht dazu verhelfen, dass der eine oder andere Leser für vieles – was ich hier einmal allgemein mit Sinn unseres Daseins und "erwachsenes Christentum" umschreiben möchte – dass der eine oder andere vielleicht einen neuen Blick, ein neues Interesse und Verständnis findet. Themen, von denen ich meine, das sie heute moderner denn je sind.


An die Nicht-Existenz Gottes zu glauben und die Menschheit für das zufällige Produkt einer vollkommen sinnentleerten und gleichgültigen Natur zu halten, ist natürlich eine vollkommen legitime Weltanschauung und verdient denselben Respekt und dieselbe Toleranz wie jede andere Weltanschauung, die sich dem Gebot der gegenseitigen Toleranz verpflichtet fühlt, – sie ist jedoch noch lange kein Zeichen von größerem ‘Durchblick’ oder gar höherer Intelligenz, obwohl gern so getan wird. Sie ist im besten Fall das ehrliche Bekenntnis des Agnostikers, der alles für unsicher hält – seine eigene Unsicherheit eingeschlossen.


Ich kann nur nicht begreifen, wie man nicht an Gott glauben und der Meinung sein kann, dass seine Existenz nicht zu beweisen ist, um dann fest an die Nichtexistenz Gottes zu glauben in der Meinung, sie sei beweisbar.


Claudio Martelli, mehrmals italienischer Minister sowie Vize-Regierungschef unter Andreotti, bringt es gut auf den Punkt, wenn er wie folgt schreibt: "Glaube ist auch Glaube an die Wissenschaften, an die Medizin, an die Karriere, die beruflichen Ordnungen, die Richter, die Polizei, die Versicherungen. Das Leben des heutigen Menschen ist eine permanente Bekundung laizistischen Glaubens an manchmal viel absurdere und lächerlichere Dinge als jene, die sich von vornherein als im Mysterium begründet erklären.


Zu meinen, man könne mit dem Christentum als einer kompakten und zusammenhängenden Ideologie diskutieren, ja mit ihm hadern und rechten und es regelrecht verklagen, als handle es sich um eine assoziierte Anwaltskanzlei, ist albern. Auf eine Fabel, ein Vorurteil, einen Aberglauben oder pure Macht zu reduzieren, was der größte, dauerhafteste, mitreißendste Humanismus ist, den der Mensch zustande gebracht hat, ist groteske Raserei."


Atheismus ist leider oft nicht mehr als der platte gedankenlose Ausdruck des Zeitgeistes, der den Menschen zum Schöpfer seiner selbst erheben, es möglichst bequem haben möchte und im übrigen auf den so genannten gesunden Menschenverstand pocht, wobei dahingestellt sein mag, in wieweit dieser bei vielen wirklich noch gesund genannt werden kann.


Doch gehen wir ruhig vom Idealfall aus. Dann lautet meine Antwort dennoch: Vernunft und Glaube widersprechen sich meiner Meinung nach ganz und gar nicht, sondern sie ergänzen sich vielmehr. Wie auch scharfe Kritik an den oftmals verkrusteten Strukturen der Organisation Kirche nicht im Widerspruch zum Glauben steht. Ganz im Gegenteil.


Wir alle, die wir uns Christen nennen, sind jederzeit zur Einmischung aufgerufen. Aber bitte mit dem nötigen Sachverstand und dem Mut, der Versöhnlichkeit den Vorzug vor der Aggression und vor dem verbalen Kahlschlag zu geben! Denn zum Glauben gehören auch Wissen, Reflektion und geistiges Wachstum – so wie wir ja auch in allen anderen Dingen des Lebens seit unserer Kindheit und Jugend zu wachsen und zu lernen gewohnt sind.


Bedauerlicherweise lassen die meisten Menschen den Acker des Glaubens jedoch nach der ersten heiligen Kommunion oder der Konfirmation brach liegen, während sie alle anderen Felder des Wissen mit immer besseren Mitteln kultivieren. Kein Wunder, dass man dann später als Erwachsener mit dem simplifizierten Kinderglauben nicht mehr viel anfangen kann und meint, dieses ‘Stadium’ hinter sich gelassen zu haben. Das ist so, als würde jemand mit zwölf Jahren recht simple Abenteuerkinderbücher lesen, dann mit dem Lesen ganz aufhören und fortan meinen, die Erwachsenenbelletristik, ja sogar die Weltliteratur bewege sich auf der selben Sprach- und Geistesebene wie diese 5-Freunde-Romane von Enyd Blyton und sei deshalb weit unter dem eigenen Niveau. Dabei verhält es sich genau umgekehrt.


Interessant ist dabei, dass sich aber dennoch jeder berufen fühlt, zur Kirche und zu ihren Lehrinhalten, Dogmen etc. seine Meinung abzugeben, die dann meist sehr kategorisch, harsch und zynisch ausfällt. Dabei fällt mir immer wieder auf, dass vor allem diejenigen, die der Kirche gar nicht angehören und erklärte Gegner des christlichen Glaubens sind, besonders zynisch, verächtlich und oft sogar hasserfüllt über die Kirche und vor allem über den Papst herziehen.


Warum, frage ich mich? Wenn jemand sich nichts aus Fußball macht, hat er weder das Recht noch einen Grund, sich darüber aufzuregen, dass nur einer und nicht zwei Spieler im Tor stehen, dass es gegen das Urteil des Schiedsrichters keinen Einspruch gibt und dass auch nicht einmal die Mehrheit aus beiden Mannschaften ihn überstimmen kann. Aber wer mitspielen will, und das tut er in jedem Verein genauso aus freiem Willen wie in dem Verein Kirche XYZ, muss sich nun mal den jeweiligen Regeln unterwerfen. Warum also die oftmals fast schon zwanghaften Reaktionen, wenn es um die römische Kirche geht?


Sitzt da bei vielen vielleicht der Stachel des Zweifels so schmerzhaft tief, dass sie sich mit blinder Wut dagegen zu wehren versuchen? Denn etwas, woran ich nicht glaube und was ich für Hokuspokus halte – wie etwa die Astrologie oder das Lesen aus dem Kaffeesatz – lässt mich doch normalerweise gleichgültig und bewirkt in mir kein Verlangen, mich immer und immer wieder mit Hass und verletzender Verhöhnung über die Anhänger dieser Überzeugungen herzufallen. Ist da vielleicht ein wütendes Aufbegehren gegen das eigene tiefere Wissen und Gewissen im Spiel? Ein nicht Wissenwollen, was nicht sein darf, weil es andernfalls eine Veränderung der eigenen Denkens- und Lebensweise erfordern würde?


Wenn es zutrifft, dass jeder seinem Gewissen folgen muss, und ich vertrete diese Überzeugung, dann ist jeder auch im Gewissen verpflichtet, sich zu informieren, damit er nicht blindlings handelt und urteilt. Denn seinem Gewissen folgen heißt nicht, nach Lust und Laune handeln und um sich selbst kreisen, sondern auf den tiefen Anspruch hören, der aus seinem Leben, aus seiner Aufgabe und Berufung ergeht. Von einem Christen ist daher ein waches Gewissen gefordert, das sich nicht mit dem Wind des Zeitgeistes dreht und die eigenen Wünsche und Schwächen zum Maßstab des eigenen Handelns macht.


Aber wo finden wir denn hier in Westeuropa denn noch Christen, die sich in großer Zahl zu dem Skandalon Jesus Christus und dem Evangelium bekennen? Im Grunde genommen ist Europa längst wieder heidnisch geworden und nur ganz dünn überzogen von einer Schmuckglasur christlicher Festtagsrituale.


Der Tanz ums Goldene Kalb wurde immer gern getanzt, zu allen Zeiten. Doch jetzt ist er endgültig zu dem Mega-Hit unserer Gesellschaft geworden. Die neuen Götzen haben nur moderne Namen und heißen zur Zeit: High Tech, Global Village, Wirtschaftwachstum, so genannte Selbstverwirklichung um jeden Preis, Freiheit ohne Bindung, Instant-Befriedigung und Instant-Fun. Wir plätschern in einem lauen flachen Gewässer aus einem "Fast Food der Gedanken und der Meinungen", und dazu kommt dann vielleicht noch eine pflegeleichte und selbst gemixte Wohlfühl-Esoterik mit ein wenig fernöstlicher Meditation, eine Wallfahrt zu einem Dalai Lama-Seminar, eine Prise Feng Shui und Hildegard von Bingen-Medizin sowie ein paar CDs mit romantischem Kloster-Chant – und heraus kommt eine selbstgezimmerte Glaubenslehre, die alles erlaubt und einem nichts abverlangt. Alles ist gleich gültig – und das ist dann letztlich der Triumph der Gleichgültigkeit.


Der Zeitgeist triumphiert auch an vielen anderen Fronten. Auf der einen Seite wird beispielsweise ein gewaltiger finanzieller und medienwirksamer Aufwand betrieben, um etwa Krötenübergänge zu schaffen, Leghennen größeren Lebensraum vor Gericht zu erstreiten, Wale zu schützen und besondere Biotope zu bewahren. Da werden dann ganze Gebiete für den Bau von Wohnsiedlungen für junge Familien gesperrt, weil man meint, zwei Wachtelkönige oder irgendwelche anderen seltene Vögel gehört zu haben, wie in Hamburg geschehen. Wer es wagt, einen schönen alten Baum auf seinem Grundstück zu fällen oder sich gegen Biotonnen zu sperren, der wird sozusagen zum Geächteten. Und wer heute junge Katzen oder Hundebabies ertränkt, den treffen ob seiner Grausamkeit zu Recht Zorn und Verachtung.


All dies sind lobenswerte Einsätze für den Schutz der Schöpfung, und sie haben – mit gewissen Einschränkungen – meine volle Unterstützung. Aber auf der anderen Seite gibt es jedoch kein Erschrecken und kein großes Aufbegehren darüber, dass die Kindergartenplätze nicht ausreichen, Altenheime und Hospize mit lebenswürdiger Pflege fehlen – und dass jährlich allein in Deutschland gute 150 000 Abtreibungen vorgenommen werden, zur Hälfte von verheirateten Frauen. Der Schutz des Lebens wird da sehr einseitig, politisch korrekt nach dem vorherrschenden Zeitgeist gehandhabt – und wer es wagt, nach dem Maßstab zu fragen, nach dem zwischen dem schützenswerten Leben von Fröschen und Wachtelkönigen einerseits und menschlichem Leben andererseits gemessen wird, den trifft – insbesondere als Mann – die Woge heller Empörung und Selbstgerechtigkeit – und das Totschlagsargument, das in Wirklichkeit nichts weiter als eine Schutzbehauptung ist, nämlich dass jeder Mensch nun mal das Recht auf seinen eigenen Körper habe. Dabei müsste die Empörung unsere Gesellschaft, Parlament und Rechtsprechung, treffen, die es diesen Frauen in objektiver oder auch nur subjektiver Not nicht möglich macht, das Kind ohne Sorge auszutragen und heranzuziehen – oder zumindest doch zur Adoption freizugeben.


Das ist die Schizophrenie unseres Zeitalters: Der Mensch als Richter, als letzte moralische Instanz, der Evidenz, Dogmen und den Dekalog leugnet, sich aber gleichzeitig willig dem Diktat der Körper-, Mode-, Freizeit-, Medien- und Konsumkultur, also dem Zeitgeist fast sklavisch unterwirft.


Noch nie ist eine Gesellschaft materiell so reich und gleichzeitig moralisch und psychisch so krank gewesen wie diese kurz vor Beginn des neuen Millenniums. Auf allen Fernseh-Kanälen geben die Zyniker, die sich hochtrabend Satiriker, Moderatoren, und Talkmaster nennen, rund um die Uhr von dieser Krankheit stellvertretend für viele andere ein beredtes Zeugnis ab. Und niemand weist sie in die Schranken, wie die Einschaltquoten beweisen.


Es ist längst gesellschaftsfähig geworden, vor der ganzen Nation alle nur denkbaren sexuellen Spielarten auf Kleinste zu schildern. Niemand wird da mehr rot – weder der Gast noch der Moderator oder die Redakteure und Verantwortlichen der Sender. Ionesco würde dazu sagen: "Wer sich an das Absurde gewöhnt hat, findet sich in unserer Zeit gut zurecht."


Wer sich dagegen heutzutage schämt oder doch oft das Gefühl erhält, sich eigentlich schämen zu müssen, und das sogar im Kreis von Freunden und Arbeitskollegen, ist derjenige, der es wagt, offen zu bekennen: "Ich glaube und ich bete so selbstverständlich wie ich atme – und ich halte auch in Zeiten der Krise der Kirche, der Kirche meines Glaubens, die Treue, auch wenn ich in manchen Belangen mit vielen Geistlichen, egal welchen Ranges, vehement und selbstbewusst anderer Meinung bin, denn Kirche ist und bleibt für mich die Gemeinschaft aller Gläubigen."


Viele, die von der Kirche reden, vergessen oder wissen nicht, dass ‘Kirche’ ein Adjektiv ist: kyriake ist ein griechisches Adjektiv und bedeutet "dem Herrn gehörend", Jesus Christus, Gott gehörend! Ja, die Institution vergisst leider in der Tat oft genug, über sich hinaus, von sich weg zu weisen auf den eigentlich Gemeinten hin, auf Gott hin, der in allem zum Ausdruck kommen will. Da ist dann stets Kritik und Mahnung angebracht – aber auch das Bewusstsein, dass wir die Kirche ausmachen und dass auch die Kleriker genau wie wir Laien immer wieder ihren Schwächen erliegen.


Der Mensch wird immer mehr zum das Maß aller Dinge. – Nun dieses Maß, das hat unser Jahrhundert ja wohl mit den Weltkriegen, dem Holocaust und Hiroshima, dem Gulag Archipelago und dem Völkermord der Rotem Khmer und vielen anderen Beispielen zur Genüge bewiesen, dieses Maß, das nur noch den Menschen und seine angeblich erlösenden, da von Gott befreiten Ideologien gelten lässt, ist zum Grauen, zur Manifestierung des Bösen schlechthin geworden.


All die buchstäblich gott-losen Heilsversuche im Namen linker wie rechter Ideologien von menschlichem Größenwahn, diese teuflischen Entwürfe dieser Epoche, haben in den letzten drei, vier Generationen nichts als Elend und hundertmillionenfachen Tod gebracht. Dazu paßt der Ausspruch des Philosophen Karl Popper. Ich zitiere: "Jeder Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, hat stets die Hölle hervorgebracht."


Das moderne Bewusstsein kennt keine Verankerung im Ewigen mehr, sondern nur noch das freie, einsame und ziellose Treiben und Getriebensein in der Zeit. – Nein, das kann und das ist ganz sicherlich nicht die Krönung und der Sinn unseres Daseins. Freiheit ohne Bindung ist Willkür. Wahre Freiheit aber ist so etwas wie das Offensein des Geistes für die gesamte Wirklichkeit – nicht nur für die sichtbare und begreifbare.


Der Mensch unserer Tage kreist jedoch geradezu verzweifelt um sich selbst, will alle Maßgaben seines Lebens selbst diktieren und aus eigener Kraft Heil schaffen. Am Ende seines Drangs nach völliger Freiheit und Autonomie steht dann die Selbstabschaffung – und dieser geistigen Strömung versuche ich mit bescheidenen Mitteln etwas entgegenzusetzen.


Das Interessante und Paradoxe ist, dass wir – anders als die meisten glauben – in einer höchst religiösen Zeit leben. Nur in den westeuropäischen Ländern, in denen der Wohlstand trotz mancher Ungerechtigkeiten seit Jahrzehnten normaler Alltag geworden ist und der Konsumwahn triumphiert, gibt es eine Krise und leere Kirchen. Nur hier hält nur jeder Zehnte den christlichen Glauben für wichtig, wie die Shell-Studie ergeben hat. In den USA sind es dagegen fast neunzig Prozent.


Und insbesondere in Afrika, Asien und im pazifischen Raum sind die Kirchen voll und übersteigt die Zahl der Berufungen zum Priesteramt und zum Ordensleben bei weitem die Ausbildungsplätze. Nein, wenn wir mal von unserer Region absehen befindet sich das Christentum ganz und gar nicht in der Krise, wie uns manche Medien hämisch glauben machen wollen, sondern es zeigt weltweit ein starkes Wachstum.


Aber auch hier in Deutschland feiert die Religion immer neue Triumphe und erfreut sich der Anbetung durch die Mehrheit der Bevölkerung – wenn auch nicht die christliche Religion.


Die moderne Technologie – von der wir erwarten, dass sie uns von allen Übeln erlöse – gleicht der Religion nämlich darin, dass sie religiöse Emotionen wie Allmacht, Anbetung und Ehrfurcht weckt, und sie verfügt auch über ihre eigene Klerikerkaste und ihre eigenen geheimen Rituale, Sprachen und Glaubensartikel. Die Befürworter künstlicher Intelligenz reden begeistert von der Machbarkeit der Unsterblichkeit und Auferstehung. Mit denselben religiösen Erwartungen frohlocken ihre Jünger, die Architekten der virtuellen Realität und des Cyberspace, der Online-Welt. Sie stellen uns eine gottähnliche Allgegenwart und entleibte Vollkommenheit in Aussicht, und die Gentechnologen, die sich als die neuen Schöpfer einer besseren vollkommeneren Welt sehen und daher auch von der Vollendung der Evolution durch die Technik sprechen, schwärmen von einer Symbiose von Mensch und Maschine, ja sogar von autonomen Maschinen. Diese seien technisch unmittelbar in Reichweite gerückt. Man spricht davon, ‘neue Lebewesen’ zu entwerfen.


Bewusst oder unbewusst erwarten die Menschen von der Technologie die Großartigkeit der Erlösung der Welt, ihre Befreiung, die neue Schöpfung kraft eigener Machtfülle. Diese Illusionen über Allwissenheit, Allgegenwart und Allmacht schürt in immer mehr Menschen, die gar nicht reflektieren, wie sehr sie in ihrem Unglauben dennoch glauben, die Phantasie von der Gottgleichheit des Menschen.


Viele Wissenschaftler sehen sich als Gottes Kollegen bei der Fortführung der Schöpfung. Sie leben im Glauben, nicht nur einen direkten Draht und privilegierten Zugang zum göttlichen Wissen zu haben, sondern auch das Recht zu besitzen, Schöpfung neu zu definieren und zu gestalten – und zwar nach Aspekten der sozialen und politischen Nützlichkeit.


Kritiker der Gentechnologie, was nicht gleichbedeutend mit Gegner der Genforschung ist, fordern dagegen den Schutz von Mensch und Natur, nicht deren beliebige Manipulation nach wechselhaften politischem und sozialem Zeitgeist. Zudem wenden sie sich gegen die elitäre Erwartung dieser begnadeten neuen Erlöser der Menschheit, die die technologischen Grundlagen für eine Orwellsche Zukunft schaffen.


Aber diese Stimmen gehen unter im Chor der Techno-Gläubigen. Die Erwartung, dass uns letztlich die Technologie erlösen werde, ganz gleich, wie hoch vorerst noch ihre menschlichen und sozialen Kosten sein mögen, ist zum unausgesprochenen Glaubensdogma unserer Zeit geworden. Appelle, etwas mehr Vernunft walten zu lassen, über Tempo und Zweck gründlicher nachzudenken, werden als irrational zurückgewiesen. Alles derzeit Existierende wird zur freien Disposition gestellt. Das technologische Herbeiführenwollen der Erlösung ist zur Gefahr für unser Überleben geworden.


Mit einem gigantischen Aufwand an Erfindungsreichtum und Hunderten von Milliarden Dollar schicken wir Menschen zum Mond und bald zum Mars, während die Armut auf der Welt zunimmt und sogar in einem so reichen Land wie die USA mehr als 40 Millionen nicht einmal eine Krankenversicherung haben, weil sie diese nicht bezahlen können. Das, meine Damen und Herren, ist, was ich einen blinden und verblendeten Glauben nenne. Ein Glaube, der ganz sicher nicht befreit.


Die Notwendigkeit, dass wir uns in unserem Leben entscheiden müssen, lockt und verunsichert uns zugleich. Die so genannte Mehrheit wird, insbesondere wenn es um den Glauben geht, nicht selten zum bequemen Alibi. Wir verfallen nur zu gern in die Knechtschaft unserer Mittelmäßigkeit. Der Boden unseres Herzens ist schon besetzt von unseren Vorurteilen, von den liebgewonnenen Gewohnheiten, mit den zahllosen Ausreden, dass man uns so etwas doch nicht zumuten könne! Wo kämen wir auch hin, wenn wir das Wort Gottes ohne Vorbehalt annehmen würden? Dann müsste sich ja einiges bei uns ändern! Wir haben ein Leben lang die Möglichkeit, das Wort Gottes zu entschärfen. Es solange zu zerreden, bis es nicht mehr weh tut. Wir möchten es gern im Wasser der so genannten menschlichen Klugheit und unserer unglaublichen Faulheit aufweichen, um es leichter verdaulich zu machen. Es mag uns weder im Magen noch auf der Seele liegen. So nehmen wir ihm letztlich alle Lebenskraft.


Heutzutage wird viel über den Werteverlust geklagt, besonders bei der jüngeren Generation, und ich schließe mich diesen Klagen an, wenn auch mit einigen Einschränkungen. Ich hege nämlich die Überzeugung, dass die meisten Menschen, auch die jungen, noch immer ein Empfinden dafür haben, was sein sollte. Es sind nicht unbedingt die Werte und Ideale geschwunden, wohl aber hat die Hoffnung auf ihre Erfüllung nachgelassen.


Zuerst einmal sind deshalb die Erwachsenen herausgefordert, den eigenen und den gesellschaftlichen Lebensstil zu überprüfen. Die Erwachsenen leben einfach nicht so, dass die Kinder unmittelbar von ihnen lernen könnten oder sollten. Sie sind bequem, undiszipliniert, wollen sich ihre Freiheiten nicht einschränken lassen. Das Motto lautet heute: "Jeder für sich und alle gegen alle!" – sowie "Alles, immer, jederzeit und überall." Und ein nicht unbekannter Politiker konnte, ohne auf allzu großen Protest zu stoßen, behaupten, Sekundärtugenden wie Respekt, Fleiß, Pünktlichkeit und Ordnung seien entbehrlich. Denn mit ihnen könne man ja auch ein KZ führen. Was denn nun aber die Primärtugenden seien, das offenbarte er uns nicht.


Ich bin kein Moralist des erhobenen Zeigefingers, und ich stimme auch nicht in das mehr als zweitausend Jahre alte Lamento derjenigen ein, die bei der Jugend einen völligen Sittenverfall beklagen und behaupten, die junge Generation tauge nichts mehr.


Die so genannte ‘gute, alte Zeit’ hat es nie gegeben. Aber ich sehe doch, dass sich die Wertmaßstäbe in den letzten Jahrzehnten radikal verändert haben – und mit ihnen die Warnzeichen, das manches in unserer Gesellschaft im Argen liegt: der Zerfall der Familie mit ihren hohen Scheidungsraten, die Gewalt unter Jugendlichen, die erschreckende Zunahme der Kinder- und Jugendkriminalität, der Drogenmissbrauch, die hohe Suizidrate bei Jugendlichen, die vielen Schwangerschaften bei minderjährigen Mädchen und so fort, um nur einiges zu nennen. Und warum kommen 70% der Täter, die sich als Graffiti-Sprayer betätigen und damit das Eigentum anderer mit Vorsatz missachten, aus der Oberschicht, besuchen Gymnasien und haben Rechtsanwälte, Professoren, Bankdirektoren, Ingenieure und Studienräte als Eltern?


Ich halte das zu einem nicht geringen Teil für eine direkte Folge der Abkehr von Gott oder der Gleichgültigkeit gegenüber dem Glauben an Gott und der Schöpfung. Denn mit dieser Abkehr verliert der Mensch auch den Horizont seines Lebens aus dem Blick und wird – was seine spirituelle Dimension und seine Wertmaßstäbe betrifft – zum Spielball des Zeitgeistes und seiner eigenen Haltlosigkeit.


Dabei sind viele junge Leute ernsthaft auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens, nach Wertorientierung und vorgelebtem Glauben. In ihnen brennt sehr wohl ein Hunger nach religiöser Bildung und Erklärung, der heute vielfach weder im Elternhaus noch in der Schule erkannt und gestillt wird. Ich kann das aus persönlicher Erfahrung bestätigen, erhalte ich doch jährlich bis zu 700 Leserbriefe, die ich auch alle beantworte. Und darunter sind viele Zuschriften, in denen sich junge Menschen dafür bedanken, dass sie durch meine Romane eine völlig neue Einstellung zum Glauben, zum Gebet und auch zur Kirche erhalten haben.


Der Glaube ist nichts für das private Hinterzimmer, schon gar nicht der christliche. Das Bekenntnis und die Verkündigung – gerade im scharfen Gegenwind des Zeitgeistes – sind nicht davon zu trennen. Für mich ist daher – nur um ein kleines Beispiel aus unserem Alltag zu geben – das gemeinsame Gebet morgens und abends ebenso selbstverständlich wie das Tischgebet. Und bin ich außer Haus, etwa bei nicht- oder andersgläubigen Freunden zu Gast oder in einem Lokal, dann dränge ich keinem meinen Glauben auf, aber ich verzichte auch nicht auf das Gebet, sondern bekreuzige mich und bete stumm. Ich bleibe mir und meinem Glauben treu – und setze damit auch ein Zeichen.


Roman Herzog hat im November 1997 "mehr Entschlossenheit zur Werteerziehung" gefordert. Ich stimme dieser Forderung zu, finde aber – und hier spricht der Laie – dass der Pädagogik dabei deutliche Grenzen gesetzt sind. Wenn die Kinder nicht schon im Elternhaus die Grundlagen zumindest in einem substantiellen Umfang mitbekommen, können die Lehrer dieses Manko wohl nur in den seltensten Fällen wettmachen.


Gottlob setzt sich ja allmählich die Einsicht durch, dass die vielen Modelle, mit denen die Theoretiker der Kultusministerien Schüler und Lehrer seit dem Durchmarsch meiner Generation beglückt haben, nicht die große Offenbarung gewesen sind – und dass man ohne Sekundärtugenden doch nicht auskommt. Nichts, was bleiben soll, kommt schnell und ohne Anstrengung. Wissen, Erfolg und Charakterbildung erringt man nicht im Spiel, sondern sind stets das Ergebnis von mühseliger Arbeit und Ausdauer.


Meiner Überzeugung nach – und da werden mir Nichtgläubige natürlich widersprechen – hat aber eine Werteerziehung ohne eine Form des Glaubens an Schöpfer und Schöpfung keine großen Erfolgsaussichten. Wer keine überweltliche Instanz gelten lässt und den absoluten Wert der moralischen Norm nicht in einem Gottesglauben begründet, der nimmt nur sich selbst zum Maß und das, was ihm salopp gesagt – in den Kram passt. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch viele Atheisten gibt, deren ethisches Handeln Vorbild für alle sein könnte. In dem faszinierenden Briefwechsel-Buch von Carlo Martini und Umberto Eco "Woran glaubt, wer nicht glaubt?" fragte Kardinal Martini zu Recht: "Was begründet denn letztlich die Menschenwürde, wenn nicht die Tatsache, dass jedes menschliche Wesen eine Person ist, die sich auf etwas Höheres und Größeres hin, als sie selbst ist, öffnet? Nur dann ist es nicht möglich, sie mit innerweltlichen Begriffen zu erfassen, nur dann wird ihr die Unverfügbarkeit zugesprochen, die nichts auf der Welt in Frage stellen kann."


"Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt", hat Dostojewski formuliert. Und Sartre stimmte ihm wie folgt zu: "Mit Gott verschwindet alle Möglichkeit, Werte in einem intelligiblen Himmel zu finden; es kann nichts a priori Gutes mehr geben, da es kein unendliches und vollkommenes Bewusstsein mehr gibt, um es zu denken. Nirgends steht geschrieben, dass das Gute existiert, dass man ehrenhaft sein soll, dass man nicht lügen darf."


Ethik allein ist brüchig, weil sie sich unter dem Druck des Zeitgeistes immer wieder verändert, und muss durch den letzten Sinn und die umfassende Wahrheit gestützt werden. Wir Erwachsenen sind deshalb aufgefordert, uns zu prüfen, was für ein Leben wir nach welchen Maßstäben führen – und welches Vorbild wir unseren Kindern geben. Wir müssen, auch wenn wir nicht glauben, ihnen doch zumindest die Option für Gott und Glauben lassen, ihnen die Tür weisen. Denn mit unseren stark prägenden Vorgaben müssen nicht nur unsere Kinder, sondern womöglich auch noch unsere Kindeskinder leben. Ich denke da nur an die ehemalige DDR und die Tatsache, dass eine ganze Generation der Möglichkeit beraubt wurde, intensiven kulturellen Kontakt mit dem Glauben und damit die Wahl gehabt zu haben, sich dafür oder dagegen zu entscheiden.


Ich möchte meinen Vortrag mit einem Vergleich enden: Ein Keimling kann in der Welt kein Zeugnis geben. Wohl aber wird es der groß gewachsene Baum tun, mit seinen kräftigen Ästen, frischen Blättern und heranreifenden Früchten. Er wächst auf jedem Boden, wo die Anpassung, die Feigheit und die Faulheit wie Unkraut gejätet worden sind.


Es fehlen heute die Heiligen im Distelfeld der Welt – und mit Heiligen ist nicht etwa das glaubende fehlerfreie Überwesen gemeint, sondern der ganz normale Mensch, der sich für das Wort Gottes geöffnet hat, der im vertrauensvollen Gebet, in der guten Kenntnis seines Glaubens und im Bekenntnis das Licht und die Kraft besitzt, um seine Umwelt zu verwandeln und zu beseelen. – Denn ohne Gott bleibt der Mensch unter seinem Niveau.


Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihr Interesse und Ihre Geduld.


Eine Rede von Rainer M. Schröder

Gehalten am 25. Oktober 1999 in Prüm

Mein erstes Manuskript

Ich soll über meine ersten staksigen literarischen Gehversuche einen kurzen Beitrag schreiben? Nichts leichter als das!" So mein erster spontaner Gedanke, als ich den Brief der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur las, der mir über den großen Teich ins Haus geflattert kam.


Aber dann regten sich in mir doch schnell ernste Zweifel. Ich sagte mir, dass ich es in Volkach mit einem akademischen Gremium zu tun habe, das sich seit vielen Jahren der Kinder- und Jugendliteratur mit professoralem Ernst und selbstloser Hingabe widmet. Auch fiel mir noch rechtzeitig ein, dass ein 25-jähriges Jubiläum gewöhnlich gewichtige und zumeist leider auch ermüdende Festtagsbeiträge ja geradezu zwanghaft zu verlangen scheint.


All das nährte in mir, der ich doch weder mein ödes Jura-Studium beendet noch jemals einen seriösen Brotberuf ausgeübt habe, einen schlimmen Verdacht – nämlich dass mir da womöglich ein peinlicher Reinfall droht, wenn ich in der mir eigenen unbekümmerten Art ein biographisches Bruchstück aus meiner nicht ganz jugendfreien Jugend aufs Papier bringe! Wie stünde ich denn mit meiner locker dahererzählten Geschichte da, wenn all die anderen namhaften Autorinnen und Autoren im Bewusstsein ihrer eigenen Wichtigkeit richtig seriöse und tiefschürfende Betrachtungen zur Veröffentlichung einreichen, die wirklich etwas hermachen und auch prima dem Ausbau der eigenen Legendenbildung dienen?


"Aufgepasst!" mahnte ich mich zur Vorsicht. "Hinter dieser nett daherkommenden Bitte um einen Beitrag verbergen sich womöglich raffiniert hintersinnige Erwartungen, die für dich zur Fallgrube werden können. Und dann stehst du in der Publikation plötzlich nackt wie der Kaiser ohne Kleider in der Menge deiner festlich gewandeten Kollegen!"


Und wie schnell fand ich meinen bösen Verdacht bestätigt! Denn nach näherer Betrachtung stellte sich die scheinbar so einfach zu beantwortende Frage nach dem ersten Manuskript tatsächlich als eine ganz und gar nicht simple Aufgabe heraus. Wie eben so oft im Leben und im Schreiben, wo sich hinter dem trügerischen Äußeren des Einfachen oftmals jahrelange Mühsal und manchmal sogar Genialität verbergen!


Denn was genau war gemeint? Das erste dreißigzeilige Manuskript, das ich als sechzehnjähriger Schüler selbst als solches bewusst so wahrgenommen habe und für das unglaubliche Honorar von DM 15,– an die Düsseldorfer Nachrichten verkauft habe? Nein, das konnte es nicht sein. Denn dann müsste ich ja noch eher die unsäglichen Pubertätsgedichte anführen, mit denen wir aus Mangel an sinnvollen Beiträgen leere Seiten unserer alternativen Schülerzeitung am Düsseldorfer Humboldt-Gymnasium gefüllt haben.


Kurzfristig überlegte ich, ob ich vielleicht von dem ersten Manuskript erzählen sollte, das schon eine gewisse Länge besaß und eine Geschichte einigermaßen logisch von A bis Z zu Ende erzählte. Laut meinen recht ausführlichen Tagebüchern, die mir die selige Verklärung meiner Jugend und insbesondere meiner Schulzeit verwehren, habe ich offenbar mit achtzehn ernsthaft begonnen, mich täglich mehrere Stunden im Schreiben zu üben. Aber da all die Kurzgeschichten sowie die Hörspiele und grandiosen Theaterstücke aus dieser Zeit trotz erheblicher Portokosten letztlich im gnädigen Dunkel meines Archivs gelandet sind, machte das auch nicht viel her, so dass ich Abstand davon nahm, die Leser einer sicherlich aufwendig gedruckten Festschrift damit zu langweilen.


Nach einigen schlaflosen Nächten und einer längeren strapaziösen Lesereise durch meine Tagebücher glaubte ich endlich, auf den richtigen Zeitpunkt und das erste Manuskript gestoßen zu sein, von dem zu erzählen lohnenswert erschien. Denn unter dem Datum des 3. November 1970, also genau zwei Monate vor meinem 18. Geburtstag, las ich dort die staunenswerte Eintragung: "Heute habe ich begonnen, meinen Roman 'Und die Sonne wirft Schatten' zu schreiben. Ich habe mir hundert Tage als Frist gesetzt. In hundert Tagen erschütterte Napoleon die Welt, da wird es mir doch wohl gelingen, ein Manuskript von etwa 250 Seiten aus mir zu holen und in die Maschine zu hauen!"


Ja, ich wollte mit achtzehn und vier Wochen ein junger Napoleon der Schreibmaschine sein! Notfalls mit Brachialgewalt, wie dieser große Wicht mit der fettigen Stirnlocke. Darunter wollte ich es nicht tun.


Beendet habe ich den Roman in der Tat, aber dummerweise erwies sich der Titel als böses Omen. Denn wer immer das Manuskript hinterher in die Hand bekam, fand zu meinem – damaligen – völligen Unverständnis im Roman mehr literarischen Schatten, um nicht von grober Unterbelichtung zu sprechen, als strahlenden Sonnenschein. Unvergessen der Ausspruch meines Vaters und Goetheverehrers: "Junge, überlass das Schreiben besser denen, die es können!" Bei uns in der Familie begann das ‘Sein’ eines Schröders nun mal mit dem Doktortitel – und dann fing man erst an, im Leben etwas zu werden. Und mich über diese Peinlichkeiten in aller Öffentlichkeit und dann auch noch in einer Festschrift auszulassen, verbot mir mein sensibles Ego.


Andererseits verbot meine preußische Erziehung es mir aber auch, die Flinte nach diesen ersten missglückten Anläufen schon ins Korn zu werfen und eine freundliche Absage nach Volkach zu schicken, im Sinne von ‘danke für die große Ehre, im Prinzip gern, aber wegen Arbeitsüberlastung an meinem nächsten Meisterwerk mit großem Bedauern leider nicht in der Lage’. Nein, so leicht wollte ich es mir nicht machen. Deshalb forschte ich in meiner manuskriptreichen Vorzeit, als mir die Veröffentlichung eines gebundenen Buches bei einem namhaften Verlag noch als die Erfüllung meines Lebens erschien, weiter nach einer Geschichte, mit der ich mich sehen, bzw. lesen lassen könnte.


Hilfe aus der Not erhoffte ich mir von meinen vielen Leitz-Ordnern, in denen ich jahrelang mit geradezu masochistischer Sorgfalt die unzähligen Absagen von Verlagen, Rundfunkanstalten, Theatern und Zeitungen abgeheftet hatte – gottlob in gnädiger Unkenntnis, dass jeder große Verlag im Jahr etwa 5000 unverlangt eingesandte Manuskripte erhält, von denen in glücklichen Jahren vielleicht einmal eines Gnade vor den Augen der geplagten Lektoren findet.


Fündig wurde ich im Jahre 1973, als ich im Dezember anstelle der üblichen vorgedruckten Absagen ein persönliches Schreiben vom C. Bertelsmann Verlag erhielt – als Antwort auf mein im Sommer eingereichtes Manuskript Tische im Park. Dabei handelte es sich um ein überaus hübsch gebundenes und auch recht sauber getipptes Manuskript von 238 Schreibmaschinenseiten, in dem ich die Geschichte eines alten Witwers erzählte, der von seiner Familie ins Altenheim abgeschoben wurde. Nach der Flucht kurz vor dem Bau der Mauer im Westen ohne Großeltern aufgewachsen und gerade mal zweiundzwanzig Jahre alt, war das für mein jungendliches Alter natürlich ein überaus naheliegendes Thema – wie ich damals meinte.


Wolfgang Lohmeyer von Bertelsmann sah das ein wenig anders. Zwar schrieb er: "Ihr Buch ist von unserem Lektorat gar nicht schlecht beurteilt worden...", aber das war natürlich nur die höfliche Version von ‘unbrauchbar’. Er machte mir jedoch den revolutionären Vorschlag, mich doch besser einem Thema zuzuwenden, "das für Sie, als noch jungem Menschen, mehr Bezugspunkte hat". Heureka!


Aber was seinen Brief trotz der Ablehnung zu meinem schönsten Weihnachtsgeschenk in jenem Jahr machte, war das Postscriptum, das lautete: "Noch ein kleiner Tipp: Wenn Sie Ihr Manuskript einem anderen Verlag einreichen, verschweigen Sie besser Ihr Alter. Gerade bei dem Thema setzt sich da leicht ein Vorurteil fest, dem vielleicht auch wir ein bisschen nachgegeben haben...".


Diesen mutmachende Brief, der mir die Augen für die faszinierende und unendliche Welt der Jugendliteratur öffnete und der wenige Jahre später zu meinem ersten Jugendbuchvertrag bei Bertelsmann führte, hielt ich kurzzeitig für einen ganz tollen Aufhänger für den erbeteten Beitrag. Aber nach kurzem Abwägen merkte ich, dass auch das nicht taugte. Denn dann hätte ich ja offenbaren müssen, dass man mich erst mit der Nase auf die Jugendbuchliteratur hatte stoßen müssen, der seit nunmehr 25 Jahren als freischwebender Autor mein ganzes Herz und der Großteil meines Lebens gilt! Auch wäre ich dann um das Geständnis nicht herumgekommen, dass ich im Sinne meiner anspruchsvollen Erziehung ja eigentlich den Nobelpreis angestrebt und fest vorgehabt hatte, mindestens ein neuer Grass oder Böll zu werden. Allein schon um endlich die Scham meiner Eltern wegen ihres jüngsten, von keinen akademischen Weihen beleckten Sohnes zu tilgen, der sich des Frevels schuldig machte, sich kurz vor dem juristischen Staatsexamen auf das enorme Risiko eines Lebens als hauptberuflicher Autor einzulassen, mit gefälligen Abenteuerbüchern bei Onkel Franz seinen Lebensunterhalt sauer zu verdienen, damit jahrelange großartige Abenteuerreisen um die Welt zu finanzieren und dabei allmählich das Handwerk des Schreibens zu erlernen. Auch von der Schmach hätte ich reden müssen, dass ich damals wie heute monatelang täglich zwischen sieben bis zehn Stunden an der Schreibmaschine ausharren muss, um etwas Ordentliches zustandezubringen, während im Film und Fernsehen die Bestsellerautoren ihre genialen Werke doch scheinbar an einem langen Wochenende bei einer Flasche Johnny Walker und ein paar Schachteln Gaulloise in einem atemberaubend kreativen Rausch aus dem Ärmel schütteln. Wollte ich mir diese Blöße geben und derart unverblümt auf meinen offensichtlichen Mangel an Talent hinweisen?


Nein, mich so vor der renommierten Kinder- und Jugendbuchwelt zu entblößen, brachte ich dann doch nicht über mich!


Und deshalb, liebe Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, sehe ich mich trotz der großen Ehre, die Ihre Einladung zur Teilnahme an Ihrer Jubiläums-Publikation darstellt, wegen Arbeitsüberlastung an meinem nächsten Meisterwerk mit großem Bedauern leider nicht in der Lage, Ihnen den gewünschten Beitrag zu liefern.


Deshalb bleibt mir auch nur, Ihnen zu Ihrem 25-jährigen Jubiläum meine aufrichtigen und herzlichen Glückwünsche zu übermitteln. Bis zum 50. Jubiläum, wo ich auf eine erneute Einladung hoffe und dieser dann gewiss auch als gereifter Mensch mit mehr Souveränität entsprechen kann!


Mit großem Dank für Ihr Verständnis und auf Ihre Diskretion vertrauend


Ihr

Rainer M. Schröder


Veröffentlicht in der "Schriftenreihe der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur Volkach e.V.", Band 27
"Mein erstes Manuskript – 60 Kinder- und Jugendbuchautoren erzählen von ihren ersten Schreiberfahrungen", erschienen November 2001 im Schneider Verlag Hohengehren, Wilhelmstraße 13, 73666 Baltmannsweiler)

15 Fragen an Rainer M. Schröder

1. Wann haben Sie mit dem Schreiben begonnen?


Ungefähr mit sechzehn Jahren. Ich habe Gedichte geschrieben, Tagebuch geführt und mich mit siebzehn an Short Stories versucht. Den ersten Roman, der diesen Namen verdient, habe ich mit 19 Jahren geschrieben. Das Manuskript hatte immerhin seinen Umfang von über 250 Schreibmaschinenseiten. An einen Verlag eingeschickt habe ich das Manuskript jedoch nicht. Ich war selbstkritisch genug, um zu erkennen, daß es nicht gut genug war, um veröffentlicht zu werden. Übrigens erhält jeder große Verlag pro Jahr im Schnitt 5000 (!) unverlangt eingesandte Manuskripte. In "glücklichen" Jahren ist vielleicht mal eins darunter, das angenommen wird.



2. Wann haben Sie Ihre ersten Geschichten und Ihren ersten Roman verkauft?


Meine ersten Kurzgeschichten und Beiträge habe ich mit 23 Jahren an Zeitungen und Magazine verkauft. Zwei Jahre später wurde mein erstes Jugendbuch vom Franz Schneider Verlag in München angenommen. Seit 1977 gehöre ich zu den ganz wenigen Schriftstellern, die ausschließlich von den Tantiemen ihrer im Buchhandel verkauften Bücher leben und dieses Glück haben nur etwa 2% aller Autorinnen und Autoren! Alle anderen – also 98 von 100 ! – haben einen seriösen’ Brotberuf, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Statistisch gesehen ist die Schreiberei für die erdrückende Mehrheit eine wahrhaft brotlose Kunst’!



3. Wie wird man Schriftsteller?


Einen richtigen Ausbildungsgang, bzw. Studium gibt es dafür nicht. Meiner Überzeugung nach muß man zuerst einmal das Talent in sich haben, wofür man nichts kann. Das ist ein Geschenk Gottes. Aber mit dem Talent verhält es sich so wie mit einem Rohdiamanten: Ungeschliffen taugt er nichts. Wer also einen Diamanten zum Funkeln bringen will, der muß Meister im Schleifen sein, und diese Meisterschaft erlangt man nur nach vielen Jahren harter Arbeit. So ist es auch mit dem Schreiben. Zuerst braucht man das Talent – und dann das Handwerk, um daraus auch etwas zu machen, was sich zu lesen lohnt. Das reine Handwerk des Schreibens kann man lernen, wobei ein Studium von Germanistik und Literaturwissenschaft sicherlich nützlich ist, auch eine Ausbildung als Journalist. Bevor mein erster Roman veröffentlicht wurde, habe ich fast zehn Jahre intensiv geschrieben und geübt (dazu Studium und Volontariat bei einer großen Tageszeitung). Meine unveröffentlichten ‘Jugendwerke’, die zum Teil noch hier im Archiv lagern, umfassen einige tausend Seiten. Erfolg – wenn er denn überhaupt kommt, was nur wenigen vergönnt ist! – setzt immer viel Arbeit, Disziplin und Durchhaltevermögen voraus.



4. Reisen Sie immer an die Orte, wo Ihre Romane spielen?


Ja, bisher war ich mit meiner Frau stets überall dort, wo meine Romane spielen. Wir reisen seit zwanzig Jahren – oft sehr abenteuerlich bis riskant – um die Welt, immer auf eigene Kosten und eigenes Risiko. Über einige dieser Reisen und Abenteuer habe ich später Bücher geschrieben.



5. Wie kommen Sie zu Ihren Ideen?


Zu meinen Romanideen komme ich auf diesen intensiven Reisen, aber auch bei der Lektüre von Sachbüchern – ich lese sehr viel! – und natürlich bei unseren wochenlangen Recherchen in Bibliotheken und Archiven. Manche Ideen reifen auch Jahre vor sich hin, bevor ich das Projekt in Angriff nehme, was oft aufwendige Reisen und Monate der Recherche verlangt.



6. Wie lange brauchen Sie für einen historischen Roman von 400–500 Seiten?


Nachdem ich die Reisen und Recherchen beendet und mir Dutzende Seiten Notizen gemacht habe, beginne ich den Roman chronologisch zu schreiben. Für diesen Teil der Arbeit brauche ich je nach Umfang und Thema 5–7 Monate, bei bis zu 12 Arbeitsstunden pro Tag. Ich fange meist morgens um halb acht an, schreibe bis in den Mittag, nach einer Pause mittags gehen wir gewöhnlich ins Fitness-Studio – geht es am Nachmittag weiter. Abends meist von 20–23 Uhr bereite ich die Szene für den nächsten Morgen vor.



7. Für wen schreiben Sie?


Ich verstehe mich als ‘Familienautor’, dessen Bücher von Jung und Alt gleichermaßen gelesen werden können, wie auch die vielen Zuschriften von Jugendlichen wie Erwachsenen beweisen.



8. Haben Sie so etwas wie eine Botschaft, die Sie in Ihren Büchern zum Ausdruck bringen wollen?


Ja. Da ich mein privates Leben auf die vier Säulen Glaube, Hoffnung, Liebe und Toleranz zu gründen versuche, ist es mir ein großes Anliegen, dieses christliches Credo auch in meinen Büchern zum Ausdruck zu bringen, sehe ich doch meine Lebensaufgabe darin, das mir von Gott geschenkte Talent des Schreibens in diesem Sinne einzusetzen, ohne dabei die Spannung und genaue historische Recherche zu vernachlässigen. Es ist eine schwere, oft schweißtreibende Gratwanderung, aber die viele Zuschriften, die ich mittlerweile auch von immer mehr Erwachsenen erhalte, bestätigen mich in meinen Bemühungen. Mein Ziel als Schriftsteller ist es, Bücher zu schreiben, die sorgfältig recherchiert und mitreißend in der Spannung geschrieben sind – und die den Leser zudem in lebensbejahenden und befreiendem Sinn von Glaube, Hoffnung, Liebe und Toleranz aufrütteln, die sich für die Besinnung auf diese unersetzlichen Werte einsetzen – und vielleicht zu ihnen hinführen.



9. Warum schreiben Sie fast nur historische Romane?


Weil ich die Erinnerung bewahren will, denn alles, was wir sind, denken, träumen und wünschen, tun wir dank unserer Erinnerung. Und wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen – geschweige denn die Zukunft erfolgreich meistern. Das Wissen um die Vergangenheit befähigt uns, eine sinnvolle Brücke vom Gestern zum Heute zu schlagen und den richtigen Weg zum Morgen zu wählen. Das blinde Fenster zum Gestern aufzustoßen, sich in der Vergangenheit aufmerksam umzusehen und darüber zu schreiben, damit dem Leser eine vielleicht ungeahnte und vergessene Welt eröffnet wird und damit jene Zusammenhänge und Ereignisse, die, obschon sie Jahrhunderte zurückliegen und scheinbar ein abgeschlossenes Kapitel der Vergangenheit bilden, dennoch in unsere Gegenwart hineinreichen, sie beeinflussen und sogar auf die Zukunft einwirken, besonders wenn wir uns ihnen gegenüber unwissend oder gar ignorant verhalten, das macht für mich die Fazination historischer Romane aus – als Schriftsteller, aber auch als Leser.



10. Haben Sie literarische Vorbilder, bzw. Schriftsteller, die Sie ganz besonders bewundern?


Es gibt zu viele hervorragende Autorinnen und Autoren, von denen leider viele völlig unbekannt sind, die ich bewundere, als daß ich sie alle nennen könnte. Aber Vorbilder in dem Sinne, daß ich ihnen nacheifern würde, habe ich nicht. Jeder Autor muß seine eigene Stimme finden, was mir, wie ich glaube, in den letzten Jahren gelungen ist. Aber wer mein an Abenteuern nicht eben armes Leben kennt, das mich unter anderem während der Winterstürme über den Nordatlantik, durch die Sumpf- und Mangrovenwildnis der Everglades, die afrikanischen Wüsten und Savannen, den Dschungel von Amazonien, das australische Outback sowie zu professionellen Schatztauchern in die Karibik und zu Goldsuchern in die Berge der Sierra Nevada geführt und mich für vier Jahre zu einem Hobby-Farmer in Virginia verführt hat, wer dies kennt, wird verstehen, warum ich mich als Schriftsteller ‘Kollegen’ wie Jack London, Friedrich Gerstäcker oder Robert Louis Stevenson näher fühle als einem Autor wie Karl May, der – bei aller Bewunderung für sein Werk – seine Abenteuer nur an seinem Schreibtisch schreibend erlebt hat.



11. Sie haben auch Romane unter dem Pseudonym Ashley Carrington veröffentlicht. Warum und was sind das für Romane?


1984 schrieb ich meinen ersten Ashley Carrington-Roman für den Verlag Droemer Knaur. Da ich damals unter seinem Namen Rainer M. Schröder schon als Kinderbuchautor bekannt war, deshalb Irritationen im Buchhandel befürchtete und zudem auch nicht wußte, ob ich überhaupt den langen epischen Atem für 500–700-seitige, historische Gesellschaftsromane besaß, wählte ich ein Pseudonym für meinen ersten Roman für ein ausschließlich erwachsenes Publikum: den Nachnamen Carrington wählte ich aus großer Zuneigung zu Missis Lucille Carrington, einer älteren Südstaatenlady, die in jenen Jahren in Virginia für mich und meine Frau zu einer zweiten, amerikanischen Mutter geworden war. Ashley, der Vorname von Lucille Carringtons Enkelin, ist in den USA ein ebenso männlicher wie weiblicher Vorname – wie Maria im Deutschsprachigen. Somit war das Pseudonym für reine Erwachsenenromane geboren. Der Name Ashley Carrington ist seit Ende der 80er Jahre in meinem Paß eingetragen.) Gleich der erste Carrington-Roman, ein umfangreiches Taschenbuch, wurde ein großer Überraschungserfolg und erlebte viele Nachauflagen. Und ehe ich mich versah, hatte ich eine neue Fangemeinde, für die ich fortan regelmäßig neue Romane schrieb. Mit der Veröffentlichung des ersten Hardcovers Fluss der Träume, der 1990 im Droemer Knaur Verlag erschien, Hauptvorschlagsband eines Buchclubs wurde und als Taschenbuch noch immer im Handel erhältlich ist, lüftete ich das Pseudonym durch einen Auftritt in der TV-Talkshow Drei Nach Neun sowie durch zahlreiche Presseberichte. Neun Jahre später wurde mein Australien-Roman Unter dem Jacaranda-Baum die besondere Auszeichnung zuteil, von der Bundeszentrale für politische Bildung in der Broschüre "Das 20. Jahrhundert in 100 Romanen" (Stiftung Lesen /Leseempfehlungen Nr. 112) zu den 100 lesenswerten Romane der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts gezählt zu werden.



12. Was verdient ein Schriftsteller überhaupt? Und wie hoch sind die Auflagen?


Wie schon in Frage 2 ausgeführt, können nur ganz wenige Autorinnen und Autoren von den Tantiemen ihrer Bücher leben. In der Regel erhält ein Autor von einem gebundenen Buch 8–10% des Ladenpreises, wobei vorher die Mehrwertsteuer herausgerechnet wird. Wenn das Buch im Handel 20 Euro kostet, beträgt das Honorar also 1,60 bis 2 Euro vor Steuern. Von einem Taschenbuch erhält der Autor 5–6%, das sind bei einem TB-Preis von 11 Euro im Schnitt etwa 0,66 Euro. Die durchschnittliche Auflage bei gebundenen Büchern liegt bei 3000–4000 Exemplaren, die von Taschenbüchern bei 7000–8000. Kein Wunder also, daß nur ganz wenige Autoren von ihren Buchverkäufen leben können.



13. Als der Schneider Verlag Ihr erstes Jugendbuch kaufte, haben Sie das Studium abgebrochen und sind mit 26 Jahren freier Schriftsteller geworden. Würden Sie das mit der heutigen Erfahrung wieder so machen?


Eigentlich fragen Sie ja: Was raten Sie jemandem, der sich heute in einer ähnlichen Situation befindet wie Sie damals vor dreißig Jahren? Und das ist eine verdammt schwer zu beantwortende Frage, schon weil sich die Verhältnisse in der Buchbranche in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verändert haben.

Zur Zeit meines Anfangs als Berufsschriftsteller gab es mehr unabhängige Verlage als heute. Ich kenne fast alle Verlage, die heute unter dem Dach von C. Bertelsmann/Random House firmieren, noch als eigenständige Häuser. Andererseits ist das natürlich auch keine Garantie gewesen, sein Manuskript leicht verkaufen zu können. Man hofft immer, dass sich Qualität letztendlich durchsetzt. Aber als ob der steinige Weg zur Veröffentlichung nicht schon bitter genug wäre für alle Nachwuchsautoren, kommt noch dazu, das nur zwei Prozent aller Autoren, die Bücher veröffentlichen, von ihren Tantiemen leben können – und die meisten von dieser "gesegneten Zwei-Prozent-Gruppe" auch nur gerade so über Hartz IV-Niveau. Achtundneunzig Prozent aller Autoren, die man in Bibliotheken und Buchhandlungen sieht, haben einen Brotberuf oder einen gutverdienenden (Ehe)Partner! Rein statistisch gesehen ist die Schriftstellerei eine Kunst, von der man nicht leben kann. 

Jeder erfolgreiche Autor kennt die unzähligen Begegnungen mit gewissen Mitmenschen bei Lesungen oder auf Partys, die einem versichern, dass ihre Lebensgeschichte der Stoff des wahren Bestsellers sei. Dass das, was sich bei anderen so leicht liest, zumeist das Ergebnis langer und harter Arbeit ist, will den wenigsten in den Kopf. Viele überschätzen sich und würden schon daran scheitern, einen ordentlichen Heftroman zu schreiben. Denn selbst ein solches Manuskript erfordert ein gewisses Maß an Können, was Handwerk, Plot und Ausdruck betrifft. In den 70er Jahren fehlten einem großen Heftchenverlag im Kölner Raum, der Krimis, Western und Liebesromane veröffentlichte, Autoren. Er inserierte in der Verbandzeitschrift der Journalisten. Mehrere Dutzend Journalisten meldeten sich auf die Anzeige hin beim Verlag, offenbar im Glauben, auf die Schnelle nebenbei ein paar Tausender mit dem Verfassen von Heftromanen verdienen zu können. Das Erwachen dieser Journalisten war bitter. Wenn ich mich recht erinnere, scheiterten alle bis auf zwei. Die überwiegende Mehrzahl hatte ihre Fähigkeiten überschätzt, einen 'primitiven' Western oder Krimi zu schreiben.

Apropos Selbstüberschätzung. Das ist ein gutes Stichwort, das mich der Beantwortung Ihrer Frage ein Stückchen näher bringt. Jeder Autor, insbesondere ein junger, braucht Selbstüberschätzung. Denn wenn er nicht an sich selbst glaubt, wer soll es dann tun?

Aber diese Selbstüberschätzung darf meines Erachtens nicht materiell ausgerichtet sein im Sinne von: "Ich will und kann das schreiben und werde so viel Kohle scheffeln wie XYZ!" Die Quelle muss ein inneres Brennen sein, das sich einfach nicht löschen lässt und das einen zum Schreiben bringt, egal wie mies die Chancen stehen und egal, was das persönliche Umfeld einem an Knüppeln zwischen die Beine wirft. Wer in sich diese brennende Leidenschaft nicht spürt, die ihn zu großen Opfern bereit macht, der sollte um Gottes Willen zuerst einen Beruf zum Broterwerb ergreifen und nebenbei schreiben.

Meine Devise war immer und ist es heute noch: Nicht das Leben verträumen, sondern die Träume leben! Aber dazu gehört auch der unbeugsame Willen, zur Verwirklichung dieser Träume alles zu geben – und mit eiserner Disziplin hart zu arbeiten.



14. Sie haben 48 Bücher geschrieben, sechs Millionen Exemplare wurden verkauft. Damit zählen Sie zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftstellern. Wie schaffen Sie es, so fleißig zu sein?


Die Fantasie und Kreativität eines Menschen ist für einen fröhlich bekennenden Christen wie mich ein Geschenk Gottes. Dafür kann ich nichts. Aber das Talent ist nur der Rohdiamant, der erst noch geschliffen werden muss. Es ist der Ausgangspunkt einer möglichen Karriere und hat bestenfalls fünf Prozent Anteil am Erfolg. Fünfundneunzig Prozent sind Disziplin und harte Arbeit. Das Handwerk will gelernt sein und eingeübt sein.

In den ersten 15 Jahren meines Lebens als Berufsschriftsteller habe ich fast durchgängig täglich 10-12 Stunden geschrieben. Das tue ich auch heute noch, etwa wenn ich mich ins Kloster Himmerod zum Marathonschreiben zurückziehe, um einen Roman zu beenden. Eiserne Arbeitsdisziplin und Ausdauer waren entscheidend für meinen Erfolg – und für den von vielen anderen Autoren, insbesondere von denen, die sich über Jahre und Jahrzehnte hinweg gegen die Konkurrenz behaupten. Aber ohne ein Feuer der Leidenschaft ist die Disziplin auf Dauer nicht aufzubringen und durchzuhalten.



15. Gehen Ihnen neue Romane inzwischen leichter von der Hand, weil Sie genug Selbstvertrauen und handwerkliche Kenntnisse gewonnen haben?


Ob mir das Schreiben leichter von der Hand geht? O Gott, nein! Ganz Im Gegenteil! In den Jugendjahren meines Schriftstellerlebens war ich herrlich ignorant gegenüber meinen vielen handwerklichen Schwächen. Ich glaubte, der Größte zu sein und alles zu können! Diese Hybris ist längst verflogen. Je älter ich werde und je schwerer die Aufgaben werden, an die mich wage, desto stärker werden meine Selbstzweifel. Vor jedem neuen Roman quält mich die Angst, der Herausforderung diesmal nicht gewachsen zu sein und kläglich zu scheitern. Die Zweifel verlassen mich auch beim Schreiben nicht. Voller Bangen erwarte ich das Urteil meiner Cheflektorin, pendele zwischen Jauchzen und Niedergeschlagenheit. 

Ich schreibe viel langsamer als früher, weil ich selten mit dem zufrieden bin, was da auf dem Bildschirm steht. Inzwischen begreife ich, was Schreiben sein kann, wie genial andere formulieren und wie groß oft noch die Kluft zwischen dem ist, was ich im Kopf an Bildern und Stimmungen habe, und dem, was letztlich schriftlich herauskommt. Jede Leidenschaft bringt dem, der sich ihr hingibt, eine Menge Leiden. Früher waren es für mich die rein physischen Leiden des Schreibens, also, die Disziplin nicht schleifen zu lassen und monatelang Tag für Tag 10-12 Stunden zu arbeiten. In den letzten Jahren hat sich dazu das psychologische Leiden aus Selbstkritik und Selbstzweifeln gesellt. Damit muss man zu leben lernen. Solange man merkt, dass man immer ein bisschen besser wird, lohnt es sich, sich diesem doppelten persönlichen Druck aussetzen. Von dem Druck, den man als erfolgreicher Autor von Verlag und Buchhandel erfährt, will ich erst besser gar nicht anfangen.

Texte und Bilder © 2024 by Rainer M. Schröder. Reproduktion nur mit Genehmigung. Angaben und externe Links ohne Gewähr. Datenschutz/Impressum

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